Die Braut des Kreuzfahrers
der Stadt ein Quartier bezogen, die meisten waren im Lager vor den Toren von Marseille geblieben, unter ihnen auch Jean Corbeille.
» Wenn sich doch nur endlich genug Schiffe finden würden « , jammerte die alte Godvere und richtete ihre gestickte Haube, die in der Fensternische hängen geblieben war. » Was sollen wir hier in diesem Sündenbabel? Mich dürstet danach, das heilige Jerusalem zu sehen. Wenn ich an Christi Grab gebetet habe, will ich getrost meine Augen schließen und hinauf in den Himmel fahren. «
» Meinetwegen kann sie schon vorher abfahren « , flüsterte die kleine Vallette von Brionne Tiessa ins Ohr. » Am besten gleich auf der Stelle, dann hätten wir endlich Ruhe vor ihr. «
Tiessa schwieg, denn sie konnte weder die hochfahrende Vallette noch die alte Nörglerin Godvere leiden. Es war schrecklich, hier in diesem engen, dämmrigen Zimmer sitzen zu müssen, während draußen in den Gassen der großen Stadt das Leben pulsierte. Hatten diese adeligen Damen denn keine Augen in ihren dummen Köpfen? Sahen sie nicht, welch wundervoll helles Licht über dieser Stadt lag? Die hellbraunen und rötlichen Häuser, die weißen zerklüfteten Felsen und der tiefblaue Himmel, der hier so gewaltig und nah erschien, als blicke man geradewegs in Gottes Reich hinein. Und das zarte Grün, das überall in den kleinen Gärten hervorspross, von weißen, gelben und rosigen Blüten durchsetzt – ach, sie hatte nie zuvor in ihrem Leben solche Pflanzen gesehen, solche würzigen und verlockenden Düfte eingeatmet. Das Gewimmel der Menschen, die fremden Gewänder und Kopfbedeckungen, die Worte, die man nicht verstand und die doch wie eine betäubende Melodie in den Ohren rauschten, die Gesichter, die Gesten, die Farben … Vor allem aber das Meer, dessen Nähe sie spüren und riechen konnte, das sie jedoch nur ein einziges Mal hatte bewundern dürfen, als sie mit ihrer Herrin Yolanda Einkäufe erledigte. Sie waren kreuz und quer durch die Gassen gelaufen, um Fisch und Brot zu erhandeln, als sie plötzlich vor dem großen Hafenbecken standen. Masten und bunt bemalte Schiffsleiber schaukelten in blaugrünem Gewässer, dickbäuchige Handelsschiffe segelten dem Kai zu, man hörte die Kommandorufe der Seeleute, weiße und graue Seevögel schwärmten in Scharen über den kleinen Seglern der Fischer. Doch all das hatte sie nur am Rande wahrgenommen, denn jenseits des Hafenbeckens und der weißen, felsigen Küste, dort wo die Morgensonne einen silbrigen Schein über die kleinen Wellen warf, sodass man die Augen zusammenkneifen musste, dort war das unendliche Meer. Tiessa war erschauernd stehen geblieben, hatte zwischen den auf und niederschwankenden Schiffen hindurch in die bläulich glitzernde Ferne gestarrt und sich vorgestellt, dass weit hinter dem Horizont, noch viel weiter entfernt als die dunklen, zackigen Formen der Inseln, das Heilige Land zu finden war. Jener ehrwürdige Boden, den Christi Füße einst berührt hatten.
» Was stehst du da und glotzt? « , sagte Yolanda ruppig, wie es ihre Art war. » Komm, Mädchen, nimm mir mal diesen Korb ab und decke ein Tuch darüber. Ich will nicht, dass dieser Händler da drüben sieht, was wir eingekauft haben, sonst wird der Schelm glauben, wir seien reiche Leute. «
Das war vor drei Tagen gewesen – seitdem war sie kaum aus dem stickigen Raum herausgekommen, denn Yolanda hatte sie beauftragt, ihre Gewänder instand zu setzen. Eine lästige Arbeit, Tiessa hatte nie Gefallen am Nähen und Sticken gefunden. Yolanda von Villeneuve war eine eigentümliche Frau, groß gewachsen und mit einem starken Willen ausgestattet. Ihre Stimme war tief, und ihre Art zu reden heischte Respekt. Keine der übrigen Frauen hatte es je gewagt, Yolanda die Stirn zu bieten, sogar die stets unzufriedene Godvere fügte sich bereitwillig, wenn Yolanda etwas anordnete. Tiessa mochte ihre Herrin nicht besonders, doch hie und da hegte sie Bewunderung für Yolanda. Zudem musste sie ihr dankbar sein, denn als Yolanda die Wahrheit über ihre falsche Magd erfuhr, war sie nicht etwa zornig geworden – sie brach in Gelächter aus. Yolanda hatte eine unerklärliche Zuneigung zu Tiessa gefasst, die durch nichts zu erschüttern war.
Tiessa hingegen fühlte sich herzlich unglücklich unter den adeligen Damen. Die beiden Schwangeren, die hübsche, verwöhnte Vallette und die lethargische Amicia von Vaudet, hatten ständig irgendwelche Launen, die sie an den armen Nonnen und ihrem Gesinde ausließen. Auch die alte
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