Die Braut des Kreuzfahrers
Mägde behandelte er niemals hart, schrie sie auch nicht an oder fasste sie am Arm, wie andere Burgherrn es taten. Doch als Jeans Tochter vor ihm stand, vergaß er, dass der Zorn eine schlimme Sünde war.
» Wie konntest du es wagen, Tiessa! « , brüllte er sie an. » Ohne meine Erlaubnis! Gegen den Befehl deines Vaters! «
Bei dem letzten dieser Vorwürfe begann sie tatsächlich zu weinen, sie schluchzte und verdeckte das Gesicht mit der Hand. Gottfried erkannte jetzt, dass er sich seinem Zorn allzu sehr hingegeben hatte, und er bereute es.
» Wie war das möglich? Wir sind über drei Wochen unterwegs – wie konntest du dich so lange verbergen? Wer hat dir dabei geholfen? «
Sein Tonfall war jetzt milder, doch immer noch streng. Neben ihm murmelte jemand, dass es kein Schaden sei, ein junges, hübsches Mädchen mitzunehmen. Weiber seien sowieso mehr als genug unter ihnen, da käme es auf eine mehr oder weniger nicht an.
» Niemand hat mir geholfen « , sagte sie rasch. » Ich habe es ganz allein getan. «
» Lüg mich nicht an, Tiessa! «
Sie schniefte und wischte sich mit einem Zipfel des Schultertuchs übers Gesicht. Dabei glitt das Tuch von ihrem Kopf, und ihr offenes, zerzaustes Haar wurde sichtbar. Die Haube trug sie nicht mehr – vermutlich hatte Jean sie der Tochter in seiner Empörung vom Kopf gerissen.
» Es ist so, wie ich sage, Herr. Eine der adeligen Frauen nahm mich als Magd in ihren Dienst, denn ihre eigene Dienerin war davongelaufen. Das Mädchen wollte nicht ins Heilige Land ziehen und kehrte lieber in ihr Dorf zurück. «
» Welche der Frauen ist es? «
Tiessa wurde jetzt lebhafter, offensichtlich war sie besorgt, die adelige Herrin könne ihretwegen in Schwierigkeiten geraten.
» Sie wusste doch nicht, wer ich bin, Herr! Hätte sie es geahnt, dann hätte sie mich niemals in ihren Dienst genommen. Sie war gütig und freundlich zu mir und hat mir gestattet, die meiste Zeit bei ihr im Wagen zu sitzen. «
» Ein Weib zieht immer andere Weiber nach « , murmelte jemand. » Das ist wie eine Stechmücke, die kommt auch niemals allein. «
» Ich flehe Euch an, Herr. Um der Gottesmutter Maria willen – lasst mich mit ins Heilige Land ziehen! Ich kann meinen Vater nicht allein lassen, er ist krank. Er braucht mich. Ohne mich wird er nicht gesund … «
Sie musste ihrem Vater häufig etwas abgebettelt haben, denn der flehende Ausdruck ihrer Augen konnte Steine erweichen. Sie hatte schöne Augen, sogar im diffusen Schein des Feuers leuchteten sie in klarer, tiefer Bläue. Doch Gottfried von Perche war nicht ihr Vater. Er war der Anführer der Kreuzfahrer, und in seinem Kopf bewegten sich unerfreuliche Vermutungen.
» Du willst behaupten, niemand hätte dir geholfen? Niemand hätte dich erkannt? In einer Zeit von über drei Wochen? «
» Niemand, Herr. Nicht einmal mein Vater. «
Sie sagte es voller Überzeugung und mit aufrichtigem Ausdruck. Dennoch war Gottfried voller Misstrauen.
» Bring Ivo Beaumont herbei! « , befahl er Bertran.
Hatte sie eben kurz die Zähne in die Unterlippe gegraben, als sei sie erschrocken? Es war bei dem unsteten Licht schlecht zu erkennen. Doch seine böse Ahnung wuchs. Hatte Ivo sich nicht auffallend häufig gemeldet, um das Zelt der Frauen während der Nacht zu bewachen? Freilich hatte es zwei Wächter gegeben, aber dennoch konnte er rasch hineingeschlüpft sein, um …
Ivo hatte noch geschlafen und erschien mit zerrauftem Haar und ohne seinen Mantel. Er war ehrlich erschrocken, als er Tiessa erkannte. Gottfried vermutete, dass er nur deshalb erschrak, weil Tiessas Geheimnis nun entdeckt war. Ein Geheimnis, das er vermutlich wochenlang mit ihr geteilt hatte.
» Du hast gewusst, dass sie hier ist, Ivo Beaumont? «
Ivos Blick wanderte zwischen Jean und Tiessa hin und her und kehrte dann zu Gottfried zurück.
» Ich habe es geahnt, Herr. Doch ich war mir nicht sicher und habe deshalb lieber geschwiegen. Eine falsche Anschuldigung ist rasch ausgesprochen und kann schlimmes Unrecht nach sich ziehen. «
Er war klug und redete sich heraus, dieser Bursche. Gottfried schwieg eine Weile und beobachtete genau, ob Tiessa sich durch Blicke oder Gesten verriet. Doch sie blickte Ivo gar nicht an, sondern war zu ihrem Vater getreten und flüsterte leise mit ihm.
Die Ritter in seiner Umgebung sahen zu Gottfried hinüber, warteten auf seine Entscheidung. Sogar die Magd an dem Kessel hielt den Holzlöffel still. Der Brei blubberte und spritzte, doch sie achtete nicht
Weitere Kostenlose Bücher