Die Braut des Nil
der
mit den Göttern in Verbindung steht und uns in den Genuss ihres Lichts kommen
lässt?«
»Er hat nicht
die Zeit, sich um die Armen zu kümmern, die er selbst unglücklich gemacht hat.«
»Sterben
diese Bauern vor Hunger und Durst?«
»Nein… Aber
sie sind zu Unrecht von ihrem Besitz vertrieben worden.«
»Wurde der
Fall dem Gericht vorgetragen?«
»Das ist
nicht möglich. Der Bürgermeister des Dorfes erklärt, alles entspreche den
Gesetzen. Ein Veteran der Armee von Ramses hat vom Kataster die Erlaubnis
erhalten, das Land meiner Eltern in Besitz zu nehmen.«
»Der Fall betrifft also die
königlichen Schreiber«, erklärte der Geometermeister.
»Deshalb
möchte ich die Werkstatt verlassen«, gestand Kamose. »Der beste Handwerker zu
werden, wird mir nichts nutzen. Ich begehe Verrat an denen, die mir Vertrauen
geschenkt haben und in Leid und Elend leben.«
»Triff keine
übereilte Entscheidung«, riet der Geometer. »Der Weg des Göttlichen ist für die
Augen der Menschen nicht leicht zu erkennen. Und doch gibt es einen Umweg, den
du sicher gehen solltest.«
Kamose stutzte.
»Welchen?«
»Es wäre
falsch, dir zu viele Einzelheiten zu sagen. Ich habe, was dich betrifft, eine
Entscheidung getroffen.«
Kamoses Herz
begann rascher zu schlagen. Der Geometer war mit Worten ebenso sparsam wie mit
Vertraulichkeiten. Sicherlich hatte er sich noch nie so lange mit einem seiner
Schüler unterhalten.
»Du weißt,
dass einer von uns morgen unsere Zunft beim Erntefest vertreten soll. Du wirst
diese Aufgabe erfüllen.«
6
Bereits lange
vor Sonnenaufgang war in unmittelbarer Umgebung des Tempels von Karnak eine
unermesslich große Menschenmenge zusammengekommen. Mehrere Tage lang würden die
Einwohner der Hauptstadt Ägyptens nun feiern, sich vergnügen, trinken und
tanzen.
Doch damit
die Freude der Menschen Ausdruck finden konnte, mussten sich zunächst die
Götter zeigen. Deshalb erwartete jeder den Auftritt von Gott Amun, seiner
Gattin Mut und ihres Sohnes Chons.
In dem
Moment, in dem sich die ersten Sonnenstrahlen im Osten zeigten, öffnete sich
das große Doppeltor aus Libanonzedernholz.
Die Menge
schrie begeistert auf.
Ein Zug von
in weißes Leinen gekleideten Priestern schritt der großen heiligen Barke des
Gottes Amun voraus, die von Eingeweihten auf den Schultern getragen wurde.
Hinter ihr ging Pharao Ramses der Große persönlich, geschmückt mit der
weiß-roten Doppelkrone, die seine Macht über Ober- und Unterägypten symbolisierte.
Der König war
umgeben von Priestern, Opferpriestern, Männern seiner persönlichen Wache,
Sängerinnen und Tänzerinnen.
Für einen
kurzen Augenblick sah Kamose das Gesicht des Pharao. Er fragte sich, ob der
Herrscher nicht eine Maske trug, so unerschütterlich schienen seine Züge. Sie
drückten gewaltige Macht, absolute Selbstbeherrschung und unbeugsamen Willen
aus.
Kamose konnte
nicht umhin, diesen Mann zu bewundern, der indirekt der Grund für das Unglück
seiner Eltern war. Er fragte sich, wie man wohl Menschen fand, die in der Lage
waren, eine so ungeheure Aufgabe zu erfüllen, wie die, Herr über Ägypten und
Mittler zwischen Himmel und Erde zu sein.
Die Prozession zog zum Kai
des Tempels von Karnak, der durch einen Begrüßungstempel markiert wurde. Dort wurden
Nahrungsmittel als Opfergaben niedergelegt. Dann stiegen der Pharao und sein
Gefolge in eine Barke, und die Priester und Priesterinnen taten es ihnen nach.
Danach kamen die Vertreter der Zünfte, unter denen sich auch Kamose befand.
Der junge
Mann war aufgeregter, als er zeigen wollte. Das perfekt organisierte Ritual
musste selbst die anspruchsvollsten Beobachter beeindrucken. Die Schönheit der
Kostüme, die eindringlichen Gesänge und die Pracht der vollständig mit Gold
verkleideten Barke Amuns schufen einen Zauber, dem sich niemand entziehen
konnte.
Unter dem
Klang zahlreicher Tamburine und Sistren überquerten die Barken den Nil. Auf
beiden Ufern drängten sich Männer, Frauen und Kinder, die glücklich darüber
waren, der Herrlichkeit des Pharao zujubeln zu können.
Kamose
stellte sich vor, wie er mit seinen Eltern, die er liebevoll an der Hand hielt,
ebenso begeistert an der Feier teilnahm.
Auf den Bug
der Barke des Königs war ein Auge gemalt, das sie leitete und in dieser Welt
genau wie im Jenseits stets ein sicheres Anlegen gewährleistete. Am anderen
Nilufer wurde der Pharao von den Priestern empfangen, die sich um die Tempel
des westlichen Ufers kümmerten. Die Riten,
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