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Die Braut des Nil

Die Braut des Nil

Titel: Die Braut des Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Schönheit erblickt. Die Göttin Hathor konnte
keine herrlichere Getreue haben. Diese junge Frau war die Liebe. Sie war die
göttliche Vollkommenheit.
    Die
Priesterin trug die Garbe auf Brusthöhe vor sich und schritt bis ans äußerste
Ende eines Steilhangs, der den Fluss überragte. Sie blieb stehen.
    Die alte
Priesterin sprach einige Verse einer Zauberformel, die den Nil anwies, sich dem
Volke Ägyptens großzügig zu zeigen, die Erde fruchtbar zu machen und alle
Formen des Lebens zum Wachsen zu bringen.
    »Möge der
Flussgott eine Gabe seiner Reichtümer empfangen!«
    Die junge
Priesterin hob die Braut des Nil über den Kopf und warf sie in den Strom.
    Freudige Ausrufe begrüßten
ihre Geste. Nur Kamose schwieg, er war unfähig, den Blick von der jungen
Priesterin abzuwenden. Wirkte hier etwa schon der Zauber der Braut des Nil? Ihm
offenbarte sich die Allmacht eines Gefühls, das sein ganzes Wesen erfüllte, die
Liebe.
    Eine
wahnsinnige Liebe, eine Liebe, die machtvoll zu strömen begann wie der junge
Nil, der zur Zeit des Hochwassers über die Ufer tritt.

 
    7
     
     
     
    Bereits seit
über einer Stunde waren alle Handwerker des Tempels von Karnak an der Arbeit.
Sie hatten den Auftrag für eine bedeutende Grabeinrichtung erhalten, für
zahlreiche Statuen und etwa zehn Stelen. Ramses der Große, einer der größten
Erbauer der ägyptischen Geschichte, ließ die Tempel vom Norden bis zum Süden
des Landes verschönern. Er hatte sogar zwei Heiligtümer auf der nubischen
Stätte Abu Simbel errichten lassen, eines für ihn selbst, das andere für die große
königliche Gattin Nefertari.
    Erregt
stürzte der Aufseher in das Büro des Geometermeisters.
    »So etwas
habe ich noch nicht erlebt!«, rief er heiser. »Seit einer Stunde laufe ich
durch alle Werkstätten… Ich habe sogar ein zweites Mal gesucht… er ist unauffindbar!«
    »Von wem sprecht Ihr?«,
fragte der Meister.
    »Von Eurem
Lieblingsschüler Kamose natürlich!«
    »Ich habe
keinen Lieblingsschüler«, berichtigte der Geometer. »Kamose ist einfach der
begabteste von allen. Wenn er nicht bei der Arbeit ist, dann ist er krank.«
    »Er ist nicht
in seinem Zimmer. Das habe ich überprüft.«
    »Hat Euch
keiner seiner Kameraden Auskunft geben können?«
    »Ihr wisst
genau, dass Kamose ein scheuer, einzelgängerischer Junge ist. Er hat sich
niemandem anvertraut. Aber das ist mir egal. Ich verlange, dass die
Vorschriften durchgesetzt werden. Jeder, der zu spät kommt, muss bestraft
werden, wenn er keinen triftigen Grund hat, wer immer es auch ist. Der einzige
triftige Grund ist Krankheit. Das ist nicht der Fall.«
    »Ihr habt
Recht«, räumte der Geometer ein. »Bringt ihn zu mir, sobald er in die Werkstatt
kommt.«
     
     
    Kamose konnte
nicht mehr schlafen und nicht mehr essen. Er hatte nur noch einen Gedanken im
Kopf: die junge Priesterin wiederzusehen, die die Braut des Nil in den Fluss
geworfen hatte. Die Liebe, die er für sie empfand, wuchs mit jeder Sekunde und
wurde immer mächtiger, umfassender.
    Während der
drei Festtage hatte Kamose versucht, sie wiederzusehen.
    Vergeblich.
    Die
Hathor-Priesterinnen hatten sich in den Tempel von Deir el-Bahari begeben, der
von der berühmten Pharaonin Hatschepsut zu Ehren Hathors errichtet worden war.
Zu Recht hatte der Tempel seinen Namen erhalten: Erhabener der Erhabenen. Eine
große, breite Rampe stieg hoch zum Felsen auf, kunstvoll ausgearbeitete Reliefs
schmückten ihn und riefen die Bewunderung ihrer Betrachter hervor. Ein tiefes
Gefühl der Erhebung erfasste jeden, der den Tempel besuchte.
    Aber Kamose
konnte nicht in die blühenden, mit Weihrauchbäumen bepflanzten Gärten gelangen.
    Auch zu
diesem Tempel war Laien der Zugang verboten. So war Kamose trotz der brennenden
Sonne die Felsen bis zu einem hohen Sporn emporgestiegen, von dem aus er auf
den Tempel hinuntersehen konnte. Er hatte gehofft, die Priesterinnen von hier
oben entdecken zu können. Aber Säulen und Vorhallen schützten sie vor jedem
Blick von außen.
    Schließlich
zeigten sie sich ihm doch, als die Priesterinnen den Tempel von Deir el-Bahari
verließen, um den Fluss zu überqueren und sich wieder nach Karnak zu begeben.
Kamose folgte ihnen.
    Er konnte
sich ihnen aber nicht nähern. Die oberste Priesterin war ganz besonders streng,
was den Umgang der jungen Priesterinnen betraf.
    Allerdings gelang es Kamose,
mit dem Führer der Aufseher zu sprechen, die über ihre Sicherheit wachten. So
erfuhr er, dass die, in die er sich unsterblich

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