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Die Braut des Nil

Die Braut des Nil

Titel: Die Braut des Nil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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die sie im Namen des Königs
vollzogen, bewahrten die Lebenskraft der verstorbenen Vorfahren.
    Zum ersten Mal entfaltete
sich vor Kamose die ganze Herrlichkeit der Zeremonien des ägyptischen Hofs. Die
königlichen Feldzeichenträger trugen Flaggen, auf denen göttliche Symbole zu
sehen waren – der Schakal des Anubis, der Ibis des Thot und der Falke des
Horus. Sie wurden von den Opferpriestern begleitet, die eine Hymne auf Amun
sangen.
    Die Händler
hatten alles getan, um von der Situation zu profitieren. Die Festlichkeiten
zogen derartig große Menschenmengen an, dass das Bier geradezu in Strömen floss.
Zahlreiche Buden waren aus leichten Materialien errichtet worden, um den
Menschen Bier und unterschiedlichste Backwaren anbieten zu können.
    Kamose mochte
Feste. Im Dorf hatte er immer begeistert beim Organisieren mitgemacht und bei
keinem der Spiele gefehlt, die zu den Höhepunkten der Feste gehörten. Hier
fühlte er sich jedoch fast fremd. Zunächst, weil er eine wichtige Rolle ausüben
musste, die es ihm untersagte, sich unter die Jungen und Mädchen seines Alters
zu mischen; dann, weil die Trauer nicht aus seinem Herz verschwinden wollte. Er
war einfach nicht in der Lage, sich zu vergnügen, während die Seinen litten.
    Der Pharao
und sein Gefolge brachen zu den Tempeln auf. Der Herrscher musste nun jenen
Gottheiten die Ehre erweisen, die im Urhügel begraben waren, jener Erderhebung,
die am ersten Tag der Welt aus den Wassern aufgetaucht war.
    Da es sich dabei um geheime
Rituale handelte, begab sich die Menschenmenge zu einem anderen Ort: zu der
Stelle, an der die schönste aller mit der Sichel geschnittenen Garben, die
Braut des Nil, in den Strom geworfen werden würde.
    Kamose
überprüfte, ob sein weißes Leinengewand, das er zum ersten Mal trug, auch
richtig saß. Er wollte sich der Aufgabe, die ihm im Namen der Zunft anvertraut
worden war, gewachsen zeigen. Würdevoll nahm er in der ersten Reihe derjenigen
seinen Platz ein, die dem Ritus beiwohnen durften.
    Als die
Prozession der Hathor-Priesterinnen erschien, trat Stille ein. Einige der
Priesterinnen verließen nie den geschlossenen Tempel von Karnak, in dem sie
hochrangige religiöse Aufgaben erfüllten. Andere waren Sängerinnen und
Musikerinnen und teilten ihr Leben zwischen dem Dienst im Tempel und weltlichen
Beschäftigungen.
    Die zum
Vollzug dieses Ritus abgeordneten Priesterinnen waren jung und schön. Sie
standen unter der wachsamen Leitung einer alten Priesterin mit faltigem,
zerfurchtem Gesicht.
    Zu Ehren
Hathors, der Göttin der Freude, Liebe und Trunkenheit, stimmten die
Priesterinnen einen Gesang an. Sie schritten in langsamem Rhythmus voran,
begleitet von Musikerinnen, die Flöten und tragbare Harfen spielten.
    Die Musik war
ernst und fröhlich zugleich und bezauberte jeden der Anwesenden.
    Wie sollte
man nicht stolz darauf sein, an solchen Festlichkeiten teilnehmen zu dürfen,
auserwählt worden zu sein, um stellvertretend seine ganze Zunft am Ritual
teilhaben zu lassen? Kamose wäre so gerne frei von seinen sorgenvollen Gedanken
gewesen und hätte gerne unbeschwert sein Glücksgefühl mit seiner Umgebung
geteilt. Er zwang sich, der Musik zu lauschen und nicht mehr sich selbst
zuzuhören.
    Die
Hathor-Priesterinnen stellten sich in einem Kreis auf, in dessen Mitte die alte
Priesterin die Braut des Nil niederlegte, eine gewaltige Garbe mit reifen,
goldenen Ähren.
    Harfen- und
Flötenspielerinnen hörten auf zu spielen. Die Sängerinnen verstummten. Die Zeit
schien anzuhalten. Alle hielten den Atem an.
    Eine sehr
junge, vielleicht sechzehnjährige Frau mit kurzem, schwarzem und mit seltenen
Essenzen parfümiertem Haar, die ein langes, durchscheinendes Faltenkleid trug,
trat aus dem Kreis der Priesterinnen, beugte in einer anmutigen Geste ein Knie
zu Boden und hob die Garbe auf.
    Ihr Kleid
wurde in der Taille durch einen schmalen Gürtel zusammengehalten, der ihre
schlanke Gestalt betonte. Den Hals schmückte ein fünfreihiges Perlenhalsband.
An ihren Handgelenken trug sie zwei goldene Armbänder, im Haar ein Diadem aus
Türkisen.
    Kamose war
von der strahlenden Schönheit der jungen Frau fasziniert. Zum ersten Mal,
seitdem er das Dorf verlassen hatte, dachte er nicht mehr an das Unglück seiner
Eltern.
    Er hielt den Blick starr auf
das Gesicht der Priesterin gerichtet. Er musterte ihre vollkommene Stirn, die
lapislazuli-blauen Augen, die leicht gebogene Nase, die schmalen, rot bemalten
Lippen.
    Noch nie
zuvor hatte Kamose eine solche

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