Die Braut des Nil
sie den
Tempel verließ, um für ein paar Wochen nach Hause zurückzukommen, fand sie ihre
Verehrer noch langweiliger und war unaufhörlich damit beschäftigt, sie von sich
fern zu halten.
Diese Haltung
bereitete Rensi Freude und Sorge zugleich. Sie bereitete ihm Freude, weil
Nofret sich seinem Ideal entsprechend verhielt und ihre wahre Persönlichkeit
zeigte, ohne Moden oder äußeren Einflüssen nachzugeben. Sie machte ihm Sorge,
weil sich seine so schöne Tochter zu wenig darum kümmerte, eine Familie zu
gründen. Und Rensi, dessen Frau bereits vor zehn Jahren gestorben war, träumte
davon, Enkelkinder im Haus zu haben…
Der
Gutsverwalter wagte es, das Grübeln des Richters zu unterbrechen.
»Herr, alles
ist bereit. Wir beginnen damit, das Essen zu servieren. Ihr müsstet Euch nun in
Begleitung Eurer Tochter auf den Ehrenplatz setzen.«
»Du hast
Recht, wo ist Nofret?«
Verlegen
senkte der Verwalter den Blick.
»Wir wissen
es nicht… Vor kurzem sprach sie noch mit zwei jungen Männern… Seitdem hat sie
niemand mehr gesehen.«
Rensi bekam
einen Schreck, ihm schnürte es die Kehle zusammen. Was hatte dieses seltsame
Verschwinden zu bedeuten? Wohin war Nofret gegangen? Noch nie hatte sie sich
auf solche Weise ihren Pflichten entzogen.
»Man möge sie
unauffällig suchen! Ich lasse meine Gäste warten.«
Genau in dem
Augenblick, als der mächtige Gastgeber den Bankettsaal betrat, sah er seine
Tochter in Begleitung eines muskulösen jungen Mannes mit breiter Stirn, bloßem
Oberkörper und einem durchnässten und verknitterten Schreiberschurz aus dem
Garten kommen.
Der Gegensatz
zwischen den beiden jungen Leuten war auffallend. Sie so elegant. Er so
ungepflegt.
Mit einem
entwaffnenden Lächeln besänftigte Nofret den Zorn ihres Vaters.
»Vater, ich
stelle dir den Schreiber Kamose vor. Er ist mein persönlicher Gast.«
»Ein
Schreiber? In diesem Zustand? Er muss wirklich nachlässig sein…«
»Ein
einfacher Vorfall«, erklärte Nofret. »Kamose ist gekommen, um dir ein Gesuch
vorzutragen, das ich für berechtigt halte.«
Richter Rensi
runzelte die Stirn. Noch nie hatte seine Tochter so klar für jemanden Partei
ergriffen.
»Ist jetzt
nicht eher eine Stunde zum Feiern, meine Tochter? Hältst du den Augenblick für
angemessen, um über ernste Dinge zu reden?«
»Nein, mein Vater. Deshalb
ist Kamose heute mein Ehrengast. Morgen werden wir reden.«
»Es ist zu spät,
ihn angemessene Kleidung anziehen zu lassen«, bemerkte Rensi. »Möge er
wenigstens einen sauberen Schurz anlegen.«
»Ich kümmere
mich darum, mein Vater.«
Während sich
Nofret in Begleitung von Kamose entfernte, blieb Richter Rensi ratlos stehen.
Er hatte sich erträumt, seine Tochter mit einem Angehörigen des Königshauses zu
verheiraten. Hatte sie nicht die vorzüglichen Eigenschaften einer künftigen
Königin? Doch warum sollte ihm die Gegenwart dieses Jungen Sorgen machen?
Sicherlich befriedigte Nofret nur eine einfache Laune. Aber dieses Argument
konnte Rensi nicht beruhigen. Nofret war keine launische junge Frau. Wenn sie
diesen Kamose auf offizielle Weise dem thebanischen Adel vorstellte, hatte sie
ganz gewiss einen Hintergedanken.
Rensi
befürchtete, ihn zu erraten.
Kamose ließ
sich von den Gesängen, den Tänzen und den köstlichen Speisen zerstreuen. Der
Barbier von Richter Rensi persönlich hatte ihn in einen neuen Schurz gekleidet
und ihm die Haare in Ordnung gebracht. Seine bescheidene Erscheinung hatte ihm
gegenüber den aufwändigen Gewändern der jungen thebanischen Adligen, von denen
eines prachtvoller war als das andere, einen unerwarteten Vorteil beschert.
Unwillentlich beeindruckte der junge Mann durch seine natürliche Stärke und
seine unbestreitbare Ausstrahlungskraft.
Er blieb an
der Seite Nofrets, auf der unaufhörlich mehr als zwanzig Blicke eifersüchtiger
Verehrer lagen. Er lachte mit ihr, als sie sich gegenseitig von ihrer Kindheit
erzählten. Kamose erzählte ihr von den zahlreichen Abenteuern eines kleinen
Bauernsohns, der die Natur entdeckt, sich mit seinen Freunden prügelt und die
Gesetze der Jahreszeiten und der Erde kennen lernt. Nofret berichtete ihm von
ihrer erlesenen Erziehung, von der Langeweile, die diese ihr bisweilen
verursacht hatte, und von ihrer Abneigung althergebrachten Konventionen
gegenüber.
»Du wirst
Schreiber«, sagte sie.
»Ich weiß es
nicht«, erwiderte Kamose.
»Willst du es
aufgeben?«, fragte sie verwundert.
»Mein Ziel
ist es, meinen Eltern
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