Die Braut des Nil
Waffe zu
kämpfen war nutzlos. Kamose verteidigte sich, wie er es von seinem Vater
gelernt hatte. Es kam öfter vor, dass eine Echse die Viehherden angriff, wenn
sie die Furt durchquerten. Die Zauberpriester hatten den Bauern Sprüche beigebracht,
deren Wirksamkeit schon einige Tiere gerettet hatte.
Kamose
ruderte so kräftig wie möglich mit den Armen. So laut er konnte, sprach er die
Machtworte: »Halt, Krokodil, Sohn des Seth! Bewege deinen Schwanz nicht mehr,
schwimme nicht weiter voran! Möge das Wasser eine Feuermauer gegen dich bilden!
Werde blind!«
Bis zur
Erschöpfung ruderte der Schwimmer mit den Armen, wiederholte den Spruch und
schlug Wellen gegen das Krokodil, die es wegdrängen sollten.
Kamose hatte
die Augen geschlossen. Wenn er scheiterte, wollte er den abscheulichen Tod
nicht sehen.
Erschöpft
streckte er sich auf dem Wasser aus.
Das Krokodil
war verschwunden.
Wieder einmal hatte sich die
Zauberkraft der Vorfahren als wirkungsvoll erwiesen.
Der Alte
unterbrach seine Arbeit an den Hieroglyphen des Totenbuchs. Sein Herz hatte
heftig geschlagen und ihm verkündet, dass Kamose in Gefahr war.
Der alte
Schreiber erhob sich und näherte sich einer kleinen Granitstatue, die mit in
den Stein gehauenen Texten bedeckt war. Sie stellte einen sitzenden Arzt dar,
der einen Papyrus ausgerollt auf den Knien liegen hatte.
Der Alte goss
der Statue Wasser auf den Kopf. Es lief über den Steinkörper. Beim Hinabfließen
brachte es mehrere in den Texten enthaltene Hieroglyphen zum Glänzen.
Hieroglyphen, die immer dasselbe Tier darstellten: ein Krokodil.
Folglich
schwamm Kamose im Fluss und würde von einer Echse angegriffen werden. Der Alte
hatte nicht eine Sekunde zu verlieren. Auf einen unbeschriebenen Papyrus
zeichnete er mit roter Tinte ein Krokodil. Aber er achtete sorgfältig darauf,
den Kopf in zwei Teile zu teilen und ihm Messer in den Kopf, den Rücken und den
Schwanz zu stechen. Auf diese Weise machte er das Ungeheuer unschädlich. Das
Symbol ging der Wirklichkeit voraus. Das Krokodil, das Kamose angreifen wollte,
hätte keine Kraft mehr.
Friedlich
schlief der Alte ein.
In den
kommenden zwei Stunden brauchte sein Schüler seine Hilfe nicht mehr, selbst
wenn andere Gefahren auftauchen würden.
Es bliebe
genug Zeit, beim Aufwachen darüber zu entscheiden.
Kamose
brauchte lange, um wieder zu Atem zu kommen. Erst als er das westliche Ufer
erreichte, spürte er die Auswirkung der Angst. Trotz der warmen Nacht fröstelte
er. Er zitterte an allen Gliedern und klapperte mit den Zähnen.
Der Vorfall
hatte seine Entschlossenheit nicht im Geringsten ins Wanken gebracht. Er hatte
den Fluss überquert. Er würde bis ans Ende gehen.
Alle Thebaner
sprachen davon, wie prachtvoll die gewaltige Villa des Richters Rensi war,
dessen Reichtum dem des Bürgermeisters von Theben gleichkam. Es war für Kamose
nicht schwierig gewesen, sich von Händlern das prunkvolle Landgut beschreiben
zu lassen.
Nachdem er
das Ufer hinaufgeklettert war und erneut einen Wald aus Schilfrohr durchquert
hatte, ging er einen Pfad entlang, der über ein Dinkelfeld führte, und hörte in
der Ferne Musik und Gesang.
Vorsichtig
näherte er sich und erblickte das Portal zur Villa des Richters Rensi. Es war
ein monumentales Tor aus Ziegelsteinen, dessen Türsturz und dessen Säulen jedoch
aus Kalkstein bestanden. Die halb geöffnete Tür selbst war aus
Libanonzedernholz. Im Inneren des Anwesens empfingen Diener mit Fackeln die
Gäste zu dem großen Bankett, das der Richter anlässlich des Geburtstages seiner
Tochter Nofret gab.
Die Villa stand
inmitten eines riesigen Gartens, der von Natursteinmauern umgeben war, in denen
sich unauffällige, von Aufsehern bewachte Ausgänge befanden.
Dieser Garten
war eines der größten Wunder Thebens. Neben Obstbäumen gab es dort seltene
Pflanzenarten, vor allem Weihrauchbäume aus dem wunderbaren Lande Punt.
Kamose lief
um das Anwesen herum und ging an den Weinfeldern des Richters entlang, die
einen ausgezeichneten Wein lieferten. Er kletterte auf einen Palmenstamm, der
über die Mauer ragte, sprang auf die weiche, gerade vom Gärtner bewässerte Erde
und schlich sich durch Hibiskusbüsche hindurch in Richtung Villa.
Das Bankett
hatte noch nicht begonnen; die elegant gekleideten Gäste standen am Rande von
zwei großen rechteckigen Wasserbecken, auf denen Enten schwammen, und
plauderten. Bedienstete servierten ihnen kühle Getränke. Turteltauben ließen
ihren hellen Gesang ertönen und
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