Die Braut des Nil
mühsam zu
beherrschende Wut in ihm aus.
»Erlaubt Ihr
mir, Euren Vater um Rat zu fragen?«
Kamoses
Schicksal lag in den Händen der jungen Frau. Sie war strahlend schön, umgeben
von Verehrern und feierte ihren Geburtstag in Luxus und Reichtum. Wie hätte der
Fall eines einfachen Bauernehepaars sie interessieren sollen?
Nofret
lächelte. Sie nahm Kamose bei der Hand.
»Kommt«,
sagte sie.
14
Das Fest
hatte inzwischen seinen Höhepunkt erreicht. Die eleganten Gäste waren gebeten
worden, auf welchen Kissen Platz zu nehmen. Diener brachten das Essen in den
Bankettsaal, in dessen Mitte die Musikerinnen des Orchesters sanfte Musik
erklingen ließen.
Rensi hatte
den siebzehnten Geburtstag seiner Tochter auf außergewöhnliche Weise feiern
wollen. Alle berühmten und reichen Persönlichkeiten Thebens waren anwesend. Die
köstlichsten Speisen sollten ihnen aufgetragen werden: gebratenes Fleisch,
gegrillter Fisch, Gemüsepürees, mehrere Sorten Kuchen, alles begleitet von Rot-
und Weißwein, der eine aus der Gegend um Theben, der andere aus dem Delta.
Rensi ging
auf die fünfzig zu. Der Sohn eines königlichen Schreibers war ein
breitschultriger Mann. Er hatte seine gesamte Karriere in der Justizverwaltung
absolviert, nachdem er drei Jahre bei den Handwerkern des Tempels von Karnak
verbracht hatte. Der Pharao persönlich schenkte ihm Vertrauen und verließ sich
auf ihn, um streng, aber ohne Ansehen der Person Recht zu sprechen.
Richter Rensi übte sein Amt
mit einer Strenge aus, die ihm manche vorwarfen. Die Adligen fürchteten ihn. Es
war bekannt, dass er nicht zögerte, schwere Strafen zu verhängen, wenn sie
nicht für den Wohlstand ihrer Güter oder das Wohlergehen ihrer Diener sorgten.
Ganz egal, um welche Einflussnahmen es sich handelte und aus welcher Ecke sie
kamen: Rensi hatte seit vielen Jahren die gleiche Haltung und nicht die
Absicht, diese zu ändern.
Jeden Tag
betete er zu Amun und dankte ihm dafür, dass er ihm so viel Glück geschenkt
hatte: eine verantwortungsvolle Stellung, die er trotz aller Schwierigkeiten
schätzte, eine Frau, die er geliebt hatte, und eine einzige Tochter, die er
geradezu anbetete.
Nofret war
die schönste aller jungen thebanischen Adligen. Mehr als zehn Heiratsanträge
hatte der Vater bereits erhalten. Unaufhörlich machten die ältesten Söhne der
besten thebanischen Familien ihr den Hof. Jeder glaubte, Richter Rensi sei es,
der die Verehrer abweisen würde, um seine Tochter so lange wie möglich bei sich
zu behalten.
In Wahrheit
war es Nofret selber, die sich weigerte, sich zu verloben. Sie fand die Jungen
ihres Alters einfältig. Sie besaß denselben unnachgiebigen Charakter wie ihr
Vater und hatte es mit dem Heiraten nicht eilig. Ihr Tempeldienst bei den
Hathor-Priesterinnen interessierte sie weitaus mehr als die gespreizten
Erklärungen der jungen Adligen, die darum wetteiferten, sie zu erobern.
Nofret war
außergewöhnlich intelligent. Ihre Mutter, Priesterin der Göttin Neith, hatte
sie in die Geheimnisse der Webkunst eingeweiht und ihr das Spielen von
Musikinstrumenten beigebracht. Sie hatte ihr die ersten Schlüssel zur
Zauberkunst gegeben, die es ihr erlaubte, die allen Dingen innewohnende geheime
Kraft zu nutzen, zu heilen oder zu zerstören, das Wasser in Feuer und das Feuer
in Wasser zu verwandeln. Ihr Vater hatte ihr Lesen und Schreiben beigebracht,
bevor er sie in die Schule der Schreiber schickte.
Stärker als
alles andere jedoch zog das Heilige die junge Frau an. Sie war fasziniert von
den religiösen Zeremonien, bei denen sie für viel zu kurze Zeit den
Prozessionen der Priesterinnen zusehen konnte, die den Tempel von Karnak
verließen. Schon sehr früh hatte sie darum gebeten, ihnen anzugehören. Rensi
hatte begriffen, dass er gegen den Willen seiner Tochter nicht ankämpfen
konnte, und ihre Aufnahme in die weibliche Priesterschaft von Karnak
unterstützt.
Bei den
Priesterinnen hatte Nofret über immer längere Zeiträume hinweg zunächst
niedrige Aufgaben erfüllen müssen: Sie musste die Musikinstrumente aufräumen,
sie reinigen, die Papyrusrollen mit den rituellen Texten tragen und auf die
Sauberkeit der den Priesterinnen vorbehaltenen Kulträume achten.
Ihre
Unnachgiebigkeit und ihre Kenntnis der Riten, an denen sie teilnahm, hatten ihr
den Zugang zum geschlossenen Tempel geöffnet. Auf diese Weise hatte Nofret eine
Welt von Gottheiten und Symbolen entdeckt, für deren Entschlüsselung sie ein
ganzes Leben brauchen würde.
Wenn
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