Die Braut des Piraten
allmählich, was sich hinter ihren wirren Worten verbarg. Unter der heißen Sonne und einem strahlend blauen Himmel wurde ihm an diesem Sommernachmittag ein wahrer Albtraum enthüllt. Sie weinte an seiner Brust, während er sie festhielt, sie streichelte und sie mit sanftem Raunen beruhigte, ihre tränennassen Augen küsste, als sie kein Wort mehr hatte, und in seinen Armen stumm erschauerte.
»Warum hast du es mir nicht schon eher gesagt?«
»Ich k-konnte nicht. Ich k-konnte die Erinnerung nicht ertragen. Damals auf dem Schiff kam alles zum ersten Mal zurück.«
»Allmächtiger«, stieß er leise hervor. Endlich begriff er, was sie damals von ihm fortgetrieben hatte. »Aber er ist nicht tot«, sagte sie und hob den Kopf von seiner Brust. »Verstehst du das? Er muss hier irgendwo sein.«
»Es könnte ein Zufall sein, dass Channing dieses Wort benutzte.«
»Nein!«, rief sie aus. »Nein, das ist es nicht, ich weiß es. Channing sieht ihm sogar ähnlich. Es ist, als wäre er in Channings Körper zurückgekehrt.«
»Jetzt bist du albern«, schalt er sie sanft und rieb ihren Rücken, da sie wie Espenlaub zitterte.
Godfrey Channing stand im Schutz der Bäume da und beobachtete alles mit giftiger, eifersüchtiger Wut. Nur ein Liebhaber konnte eine Frau so umfangen. Sie schmiegte sich an Edward Caxton mit der Vertrautheit einer Geliebten, die eben aus seinem Bett gekommen war. Sie war keine Jungfrau, sondern eine Hure, die sich einem Niemand, einem gewöhnlichen Landjunker, hingegeben hatte, einem eitlen Dummkopf ohne Vermögen und Stammbaum. Unwillkürlich trat er einen Schritt aus der Deckung.
Als ahne er die Bewegung, blickte Caxton auf und schaute über Olivias Kopf zu den Bäumen. Godfrey trat hastig zurück, doch hatten sich ihre Blicke getroffen … ein kurzer Kontakt, der jedoch genügte. Jetzt wusste Channing, was ihm an dem Mann so bekannt vorgekommen war. Er hatte diese Augen schon gesehen, hatte sich diesem harten, scharfen Blick voller Verachtung stellen müssen.
Der Mann, der sich Edward Caxton nannte, war der Mann, der ihm seine Wrackbeute abgekauft hatte. So wie der elende Fischer nicht das gewesen war, was er vorgab, war Edward Caxton nicht der leere, kriecherische Mitläufer im königlichen Audienzsaal, den er mimte. Und nun hatte er ihm diese Beute abgejagt!
Olivia holte tief und bebend Atem, als sie Anthonys plötzliche Anspannung spürte. »Ist er da? Hat er uns gesehen?«
»Keine Angst.«
»Wenn das der Fall ist, wird er es sofort weitererzählen.«
»Überlass Godfrey Channing mir«, knurrte Anthony voller Ingrimm. »Hat er dir wehgetan?«
»Er versuchte mich zu küssen.« Wieder erschauderte sie und fuhr sich mit der Hand über den Mund. »Meine Angst ist groß. Er muss Brian kennen. Er
muss.
Wie sonst hätte er mich so nennen können? Brian muss ihm gesagt haben, was er mir antat. Sie müssen von mir gesprochen haben. Und jetzt wird er uns kompromittieren.« Ihre Stimme wurde schrill vor Angst, und Anthony brachte sie liebevoll zum Schweigen.
»Ich kümmere mich darum«, wiederholte er beruhigend.
»Wie denn?« Sie sah ihn hilflos an.
»Vertraue mir.« Nach einer Pause setzte er hinzu: »Diesmal wenigstens kannst du darauf vertrauen, dass ich etwas ohne finanziellen Anreiz tue.« Blick und Stimme forderten eine Erklärung heraus.
Die Wärme der letzten Minuten schwand, Olivia spürte wieder Kälte und Leere.
Sie begegnete seiner Herausforderung mit einer eigenen. »Warum bist du g-gekommen? Lenkst du damit nicht Aufmerksamkeit auf dich? Wäre mein Vater zu Hause, würde er Fragen stellen. Ich dachte, das müsstest du vermeiden.«
»Zufällig weiß ich, dass er nicht da ist.«
»Ja, ich kann mir denken, dass du es weißt. Du hast sicher überall deine Spitzel.«
»Die habe ich.« Er sah sie enttäuscht an und beherrschte seinen Zorn über ihren verächtlichen Ton. Es sah aus, als hätte er ein Rätsel gelöst, nur um vor dem Nächsten zu stehen. »Ist das Teil dessen, was mich so
schlecht
für dich macht, Olivia?«
»Du sagtest selbst, dass du kein Gentleman bist. Du handelst nicht nach den Regeln, die die Ehre gebietet«, murmelte Olivia.
»Darum geht es also? Das schien dich aber anfangs nicht zu bekümmern.«
»Im Traum erschien mir ehrenhaftes Handeln nicht so wichtig«, erklärte sie. »Aber nun bin ich wach und finde es sehr wichtig.«
Ehre! Sein Vater hatte seine Mutter entehrt. Ihr Kind war in Schande geboren worden. Die Familie seines Vaters hatte unter dem
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