Die Braut des Ritters
Vorgehen.
„Der Mauerabschnitt rechter Hand des Tors ... “, setzte sie an.
„Aye?“
„Ist der sicher? Ich meine, gibt es dort weiterhin baufällige Stellen?“
„Die innere Mauer muss noch an einigen Stellen repariert werden, aber die äußere ist stabil.“
„Es gibt dort keine locker sitzenden Steine, die hinabfallen können?“, bohrte Avelyn nach.
Etwas an ihrem Tonfall ließ Paen aufmerken. Er musterte sie. „Das sollte nicht der Fall sein“, sagte er bedächtig. „Weshalb fragt Ihr, Frau?“
Sie senkte den Blick, zuckte mit den Schultern und wandte ihre Aufmerksamkeit Samson zu. Da die Menschen endlich aufgehört hatten, sich zu bewegen, und stattdessen aßen, war das Ferkel zurückgekehrt und hatte sich neben Avelyn ausgestreckt. Sie legte ihm ein paar Apfelscheiben und eine Pflaume vor die Schnauze. Samson war aber nicht wirklich daran interessiert und ging bald wieder auf Entdeckungsreise.
„Weshalb fragt Ihr, Frau?“, wiederholte Paen.
Avelyn schaute auf, zögerte jedoch. Sie befürchtete keineswegs, dass er David die Schuld für das Unglück geben und ihm verbieten werde, Samson und sie zu begleiten. Sie wollte Paen nichts von Diamanda erzählen, ehe sie nicht wusste, ob das Mädchen in den Unfall verwickelt war oder nicht. Von dem Steinquader, der heruntergestürzt war, konnte sie Paen allerdings gefahrlos berichten, ohne Diamanda zu erwähnen.
„Frau, was ist geschehen?“, drängte Paen. „Mir ist aufgefallen, dass der Ärmel Eures Kleids eingerissen ist und Ihr Euch die Schulter darunter aufgeschürft habt.“
Flüchtig betrachtete sie die betroffene Stelle und seufzte. Sie hatte nach dem Vorfall weder Riss noch Schürfwunde bemerkt, zu sehr hatte der Gedanke an Diamanda sie beschäftigt - Avelyn war wie betäubt gewesen. Ein schwaches Zwicken, fiel ihr jetzt wieder ein, hatte sie allerdings verspürt, wenn sie den Arm auf bestimmte Weise bewegte.
„Ein Stein ist aus der Mauer gebrochen und hat David und mich beinahe getroffen, als wir aus dem Dorf zurückkamen“, gestand sie schließlich.
„Noch so ein Unfall“, murmelte Paen und richtete sich auf. Mit einem Mal war er blass, sein Mund glich einem schmalen Strich.
Avelyn rutschte unbehaglich hin und her, denn mit einem Mal fühlte sie sich schuldig. Paen musste sie für einen wahren Unglücksraben halten.
„Wenn wir zurück sind, möchte ich, dass Ihr mir zeigt, wo genau der Stein heruntergefallen ist.“
Sie nickte. Die gelöste Stimmung, von der der Ausflug bislang begleitet war, hatte sich verflüchtigt - was Avelyn sehr bedauerte. Auch Paen musste es spüren, denn nach einem Augenblick des Schweigens seufzte er und machte sich daran, die Sachen zusammenzupacken.
„Fangt Euer Schwein ein, wir brechen auf.“
Stumm erhob sich Avelyn und ging zu Samson, der das Unterholz durchstöberte. Als sie sich umwandte, sah sie, dass Paen einfach nur dastand und sie betrachtete. Er machte einen Schritt über das Fell auf sie zu, glitt aus und kam ins Straucheln. Erschrocken drückte Avelyn das Ferkel an sich, als Paen hinschlug und mit dem Kopf hart auf einem Ast aufprallte.
„Mylord?“ Avelyn stürzte zu ihm. Vor Angst zog sich ihr der Magen zusammen. Paen bewegte sich nicht.
„Paen?“ Sie ließ Samson los und schaffte es mit einiger Anstrengung, ihren Gemahl auf den Rücken zu drehen. Eingehend betrachtete sie sein bleiches Gesicht. Er war besinnungslos, und durch den Ast hatte er sich eine Platzwunde auf der Stirn eingehandelt. An der Stelle wuchs bereits eine Beule.
Ein wenig fahrig beugte sich Avelyn über ihn und legte ihm ein Ohr auf die Brust. Als sie sein Herz regelmäßig schlagen hörte, wurde sie etwas ruhiger.
Seufzend richtete sie sich auf und ließ den Blick über die Lichtung schweifen. Was sollte sie tun? Kopfwunden konnten übel sein, und es war unmöglich zu sagen, wann ihr Gemahl wieder zu sich kommen würde. Wenn er aufwachte, würde er fürchterliche Kopfschmerzen haben -doch wann er aufwachen würde, stand in den Sternen. Es konnte wenige Augenblicke dauern oder Stunden oder ...
Noch einmal schaute sich Avelyn auf der Lichtung um und musterte die Bäume ringsumher. Sie verspürte kein Verlangen danach, die Nacht hier draußen zu verbringen, mit ihrem ohnmächtigen, wehrlosen Gemahl an der Seite. Zwar hatte er in letzter Zeit immer wieder seine Männer ausgeschickt, zu Pferd die Gegend zu durchstreifen, um Plünderer abzuschrecken. Doch dass diese Methode Erfolg hatte, darauf wollte
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