Die Braut des Ritters
all Eure harte Arbeit“, wandte Lady Helen ein.
„Es war ja nur eine Tunika“, murmelte Avelyn.
Lady Gerville hatte gemutmaßt, dass das Schicksal sein Spiel mit Avelyn treibe. Allmählich glaubte sie ihrer Schwiegermutter. Wenn das wirklich zutraf, blieben ihr zwei Möglichkeiten - aufzugeben und gar nichts mehr zu tun oder das Beste aus ihrer Lage zu machen und unverdrossen fortzufahren, bis das Schicksal ihrer müde wurde.
Avelyn gehörte nicht zu jenen, die einfach aufgaben.
„Avelyn?“
Sie schaute auf und sah, dass Lady Gerville leise ins Gemach trat und neben Lady Helen stehen blieb. Sie musste sich beeilt haben, denn sie war außer Atem. Nun aber bewegte sie sich langsam, ja fast schüchtern, und in ihrem Blick lag Unsicherheit. Diamanda musste ihr gesagt haben, was vorgefallen war, und nun wartete sie bang, wie Avelyn die Schandtat ihrer Hunde wohl aufnehmen würde.
„Ich..." setzte sie an.
„Schon gut“, unterbrach Avelyn sie, fuhr Juno und Boudica ein letztes Mal durchs Fell, hob den Fetzen auf, der fast eine ansehnliche Tunika geworden wäre, und stand auf. „Allerdings fürchte ich, dass wir mehr Stoff brauchen. Ich hoffe, der Tuchhändler lässt sich bald wieder blicken.“
„Ich werde ihn umgehend aufspüren und herbringen lassen“, beteuerte Lady Gerville, schaute aber weiterhin recht bedrückt drein.
Avelyn erinnerte sich noch gut daran, wie sie zusammengebrochen war, nachdem ihr erstes Werk dem Feuer anheimgefallen war. Vermutlich war Lady Gerville beklommen zumute, weil sie nicht wusste, was sie dieses Mal von ihrer Schwiegertochter zu erwarten hatte. Solch ein schwächliches Verhalten sah Avelyn eigentlich nicht ähnlich und war wohl auf die Erschöpfung zurückzuführen, denn in den Nächten vor dem Verhängnis hatte sie nicht viel geschlafen. Zudem hatten sich die Katastrophen neulich geradezu überschlagen, wohingegen dieses Desaster hier das erste in den drei Tagen seit ihrer Ankunft war. Das würde sie nicht umhauen.
Sie legte Lady Gerville im Vorbeigehen kurz die Hand auf den Arm. „Ich werde schauen, ob noch genügend von dem elfenbeinfarbenen Stoff für eine neue Tunika da ist.“
Damit schlüpfte sie aus dem Gemach und schritt zu ihrem eigenen, den zerfetzten Lumpen in der Hand. Sie konnte das verwüstete Kleidungsstück zumindest dafür verwenden, um Maß für das neue zu nehmen, und so warf sie es sich über die Schulter, um die Hände frei zu haben und die Truhe zu öffnen. Plötzlich verharrte sie und schnupperte. Das roch doch nach ... Noch einmal zog sie die Luft ein und hielt die Nase an die Tunika über ihrer Schulter. Schweinebraten. Sie drückte sich den Stoff ans Gesicht, um sich zu vergewissern. Kein Zweifel, die Tunika roch nach Bratenfleisch.
Avelyn richtete sich auf und starrte das Kleidungsstück an. Gestern Abend hatte es Schweinebraten gegeben, aber wie der Geruch an den Stoff kam, war ihr schleierhaft. Nach dem gestrigen Nachtmahl hatte Avelyn nicht mehr genäht, sondern mit Paen gesprochen, und danach ... nun, als Paen zu ihr in die Kammer gekommen war, hatte sie keinen Gedanken mehr ans Nähen verschwendet.
Sie berührte das Tuch. Kein Wunder, dass die Hunde darüber hergefallen waren. Doch wie konnte es passieren, dass es nach Braten roch? Jemand musste dafür gesorgt haben, aber wer? Und es hatte nicht genügt, die Tunika mit fettigen Fingern anzufassen. Der Stoff war geradezu getränkt mit dem Geruch, als habe jemand ihn mit Bratensaft eingerieben.
Es war schon die zweite Garnitur Kleidung für Paen, die ruiniert worden war. Erst das Feuer und nun dies. Sie schüttelte den Kopf, als ihr ein unschöner Gedanke durch den Kopf schoss. Unmöglich, dass jemand ihre Arbeit absichtlich zunichtemachte, oder? Nay, das konnte sie nicht glauben. Allerdings war sie sich neulich so sicher gewesen, die Kerze ausgeblasen zu haben. Und jetzt der Bratengeruch. Andererseits war sie seit Neuestem recht anfällig für Missgeschicke, und somit war es durchaus denkbar, dass sie die Kerze tatsächlich nicht gänzlich gelöscht hatte.
Sei nicht närrisch, hielt Avelyn sich vor. Vielleicht war der Geruch ja rein zufällig an den Stoff geraten -wie das geschehen sein sollte, konnte sie sich allerdings auch nicht erklären. Trotzdem: Es konnte unmöglich eine Absicht dahinterstecken, schließlich begegnete ihr jeder hier mit Freundlichkeit.
Avelyn faltete die Tunika zusammen und legte sie auf das elfenbeinfarbene Tuch. Womöglich war es gar nicht so schlecht, dass
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