Die Braut des Satyrs
herbeizubeschwören. War es das, was er getan hatte?
Er strich über das Bettlaken. Sie war hier gewesen, auf seinem Bett, diese andere Frau. Er entsann sich, mit ihr hier gewesen zu sein. Und nun, da er darüber nachdachte, entdeckte er überall in diesem Zimmer Anzeichen eines wilden Liebesaktes. Abgeworfene Kleidung war auf dem Boden zerstreut, die Laken und Decken zerwühlt. Zwei Weingläser waren hier, eines auf dem Tisch, das andere auf dem Boden, was die Möglichkeit ausschloss, dass er das Bett mit Nebelnymphen geteilt hatte. Ihnen hätte er keinen Wein angeboten, nahmen sie doch gar keine solch körperliche Form an, die Nahrung egal welcher Art bedurfte.
Nahrung. In seinem Gedächtnis blitzten Bilder von Porzellan und Silberplatten mit Köstlichkeiten auf, die von femininen Händen gehalten wurden. Und vom aufgehenden Mond, der durch das Fenster auf langes helles Haar schien. Er hatte mit einer Frau zu Abend gegessen, unmittelbar vor dem Vollmond! Den Göttern sei Dank! Das war doch schon einmal ein Anhaltspunkt. Noch eine vage Erinnerung regte sich: an eine weibliche Stimme, die ihn verlockte, französisches Gebäck zu kosten. Hatte sie ihm damit eine Droge verabreicht? Oder mit dem Wein?
Er stand auf, um im Speisezimmer nachzuschauen, aber leider hatte er sich viel zu schnell aufgerichtet, so dass alles Blut aus seinem Kopf zu weichen schien und er sich am Bett festhalten musste.
Ein paar Schritte schaffte er, ehe er nach vorn kippte. Zum Glück konnte er sich an der Wand abfangen, wobei er versehentlich ein gerahmtes Aquarell vom Haken riss. Er biss die Zähne zusammen, um gegen seinen Brechreiz anzukämpfen. Es war vergebens. Auf allen vieren hockte er da und übergab sich auf seine zerknautschte Hose am Boden.
Hinterher rollte er sich keuchend auf die Seite. Götter! War ihm jemals so elend gewesen? Offensichtlich hatte er seit drei Tagen und vier Nächten weder gebadet noch gegessen noch Sex gehabt. Wobei er sich vor allem nach Letzterem verzehrte.
Sein Blick fiel auf das weiße Papierquadrat, das der Hotelportier ihm unter der Tür durchgeschoben hatte, und er wollte es holen. Schließlich gelang es ihm, die kleine Distanz kriechend zu überwinden. Auf dem Rücken liegend, hielt er es in die Höhe und las.
Wenigstens war sein ältester Bruder so gnädig gewesen, sich kurzzufassen.
Komm zurück! Du wirst gebraucht. Nicholas Satyr
Das Papier flatterte ihm auf die Brust.
»Miserabler Zeitpunkt, Nick!«, murmelte er. Aber sein Bruder würde ihn niemals von seiner Suche abrufen, wenn es keinen höchst brennenden Grund gäbe.
Seine Entschlossenheit verlieh ihm neue Kräfte, und so erhob er sich, öffnete die Tür und rief sowohl nach seinem Bad als auch nach einem Kammerdiener, der ihm beim Ankleiden helfen sollte.
Wenn zu Hause Probleme auftraten, war keine Zeit zu verlieren. Folglich würde er die Energie für die Reise irgendwie aufbringen müssen.
Sobald sein Bad kam, würde er sich ein
petit déjeuner
– ein Frühstück – bestellen. Nicht dass er Hunger hatte, aber Essen half ihm vielleicht, sich wieder zu erholen.
Essen. Bei dem Gedanken daran lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Gleichzeitig regte sich etwas in seinem Kopf. Dass er mit der grünäugigen Frau diniert hatte, musste wichtig sein, obwohl er nicht sagen konnte, warum.
Nackt tapste er die Treppe zum Esszimmer hinunter, wo er sich genauer umsehen wollte. Bei jedem Schritt schwang sein Penis hin und her wie ein Pendel. Auf halbem Weg nach unten konnte er den Tisch sehen, von dem alle Gerichte und restlichen Aromen ihres Mahls längst verschwunden waren – wie auch die Frau.
Als er endlich im Speisezimmer stand, überprüfte er die Luft gründlich auf Spuren der Frau, die ihm hier Gesellschaft geleistet hatte. Doch es war lediglich eine sehr schwache feminine Note auszumachen, die noch dazu seltsam unklar schien, wie zwei unterschiedliche Düfte, die sich miteinander verwoben hatten. Ob Feenduft oder menschlicher, Raine hätte ihn selbst nach Tagen an die Quelle zurückverfolgen können, wohingegen Lyon diesbezüglich weniger begnadet war. Er konnte einzig sehr frische Düfte aufspüren. Und Raine war nicht hier.
Wer immer seine Besucherin gewesen war: Er war sicher, dass sie in diesem Zimmer mit ihm gegessen hatte. Er strich über die polierte Tischplatte und grübelte angestrengt.
Flüchtige Erinnerungsfetzen tauchten auf, geisterhaften Objekten gleich, die nur sichtbar waren, wenn man sie aus dem
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