Die Braut des Satyrs
die heikle Angelegenheit erfahren haben könnte, über die ich nicht in Zimmerlautstärke sprechen darf.«
»Was sollte dich davon abhalten, mich im Ungewissen zu lassen und dir Juliette selbst zu schnappen, wie du es bei der kleinen Fleur gemacht hast?«
Ohne nachzudenken, drehte Juliette den Türknauf und warf die Tür so heftig auf, dass sie an die Wand knallte. »Wo ist Fleur?«, fragte sie, noch während sie in das Zimmer stürmte.
Beide Männer drehten sich abrupt um, was beinahe komisch aussah. Eine Sekunde lang starrten sie Juliette erschrocken an, dann brach Arlette in hektische Betriebsamkeit aus. Er lief zur Tür, blickte sich rasch in beide Richtungen auf dem Flur um, schloss die Tür wieder und versperrte sie von innen mit seiner massigen Gestalt.
Valmont schenkte Juliette ein künstliches Lächeln, stand auf und winkte sie mit seiner gespenstischen Hand näher. »Komm doch herein, meine Liebe. Wie lange lauschst du schon?«
»Lauschen?« Sie mochte außer sich vor Wut sein, aber nicht so dumm, ihm die Wahrheit zu sagen. »Ich bin eben erst gekommen. Die letzte halbe Stunde habe ich die anderen Mädchen nach Fleur gefragt, und sie sagen, sie wäre gestern Abend mit dir zusammen gewesen. Jetzt ist sie verschwunden. Sag mir, wo sie ist, oder ich rufe die Gendarmen!«
»Die Polizei?« Valmont setzte sich kichernd. Dass er ihre Drohung nicht einmal ernst genug nahm, um hinter seinem Schreibtisch hervorzukommen, machte Juliette noch zorniger.
Mit großen Schritten trat sie vor den Schreibtisch. »Wo ist sie?«
Doch er grinste nur hämisch, was ihr verriet, dass er für Fleurs Verschwinden verantwortlich zeichnete.
»Vorsicht, mein Liebes, du wirst hysterisch! Ich bin sicher, dass sie lediglich Gefallen an einem ihrer Verehrer fand und mit ihm durchgebrannt ist. Du weißt doch, was für alberne Flausen von wahrer Liebe diese Mädchen bisweilen im Kopf haben.«
Sie wusste vor allem, dass er log, aber wenn sie das sagte, würden sie begreifen, dass sie gelauscht hatte. Und sie sollten nicht ahnen, was sie außerdem gehört hatte – noch nicht.
»Sie wäre nie gegangen, ohne mir etwas zu sagen«, beharrte sie stattdessen. »Nicht ohne all ihre Schuhe, ihre Kleider und ihren Schmuck. Dafür hing sie viel zu sehr an ihren wenigen Besitztümern.« Dann drehte sie sich um und ging zur Tür.
Dort stand nach wie vor Arlette, der den Ausgang blockierte. Allerdings war es Valmonts Stimme, die sie veranlasste, stehen zu bleiben, denn sie hatte jenen seidigen Klang angenommen, den sie stets bekam, wenn er besonders grausam wurde.
»Was glaubst du, das passiert, solltest du die Polizei rufen und ihnen dein absurdes Märchen erzählen,
ma chère?
Was käme wohl heraus, würden sie zu ermitteln anfangen?«
Sie blickte sich zu ihm um.
»Du warst sehr gut mit Fleur befreundet«, fuhr er fort. »Monsieur Arlette und die anderen Mädchen würden es bestätigen, ohne dass ich sie eigens dazu auffordern müsste. Käme in dem Zusammenhang ans Licht, dass wir dich
unwissentlich
bei uns beherbergten – eine flüchtige Mordverdächtige aus Burgund –, frage ich mich, wen die Gendarmen wohl verdächtigen würden, etwas mit Fleurs Verschwinden zu tun zu haben.«
»Ja, wen wohl?«, sprang Arlette ihm bei. »Sicher könnte ich arrangieren, dass Blutspritzer auf deinem Teppich gefunden werden, falls die Inspektoren weitere Hinweise auf deine Schuld brauchen.«
Angeekelt blickte Juliette von einem zum anderen. Vor wenigen Augenblicken erst hatte Valmont angedeutet, dass er die Beweise gefälscht hatte, die sie zur Hauptverdächtigen für den Mord in Burgund machten. Er hatte sie zu einer Flucht gedrängt, was sie in den Augen aller anderen nur umso schuldiger erscheinen ließ. Und dann hatte er sie süchtig gemacht und ihre Phobien verstärkt. Sie war ihm wirklich auf Gedeih und Verderb ausgeliefert – hauptsächlich auf Verderb.
»Lassen wir es gut sein! Vergiss deine kleine Freundin, denn wir müssen über ein anderes Thema sprechen: Lord Satyr.« Valmont sah an ihr vorbei. »Würdest du uns bitte allein lassen, Arlette?«
Kurz darauf hörte sie, wie die Tür hinter ihr geschlossen wurde. Valmont deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Setz dich!«
So ungern sie auch hören wollte, was er zu sagen hatte, musste sie erfahren, was er im Schilde führte, also gehorchte sie ihm.
Er tippte mit seinen Fingernägeln auf die Schreibtischunterlage. »Du weißt, dass ich dich liebe,
chérie
. Das weißt du doch,
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