Die Braut des Satyrs
verließ. Er würde auf das Knarren der Treppenstufen lauschen, damit er sicher war, dass sie in ihre Dachkammer ging. Um ihn nicht misstrauisch zu machen, stieg sie in das oberste Stockwerk.
Sie schloss ihre Zimmertür leise hinter sich.
Vite!
Schnell! Da sie eine Entscheidung gefällt hatte, musste sie handeln, ehe ihr Mut wieder schwand.
Sie kniete sich neben das lose Dielenbrett, hob es hoch und nahm ihren Beutel aus dem Versteck. Nachdem sie die Kette herausgenommen hatte, ging sie zu ihrem Spiegel, legte sie sich um und band sie fest. Ein einziges Mal strich sie über die Perlen, ehe sie die Kette in ihren Ausschnitt steckte, wo sie nicht zu sehen wäre.
Der Beutel wog schwer von Münzen, als sie ihn schüttelte, und das leise Klimpern beruhigte ihre Nerven. Nachdem sie ihre Handtasche aus dem Schrank geholt hatte, stopfte sie den kleinen Beutel sowie einige Kleidungsstücke hinein und ging zur Tür.
Die Hand schon auf dem Knauf, hielt sie inne und starrte blind auf die Holzkassetten, während sie mit sich rang. Langsam drehte sie sich zu ihrem Waschtisch um, wo das Fläschchen mit dem Laudanum stand.
Sie sollte es hierlassen, einen Neuanfang wagen. Doch die Vorstellung einer plötzlichen Abstinenz war zu angsteinflößend. Also eilte sie zurück und steckte das Laudanum in ihre Tasche.
Leise schlich sie nach unten, wobei sie sorgsam alle knarrenden Stufen mied. Im Erdgeschoss nahm sie ihren roten Umhang vom Haken und verließ lautlos Valmonts Haus. Für immer. Was sie nicht bemerkte, war, dass mit ihren aufgewühlten Emotionen ein Feenduft in ihr freigesetzt wurde, den nur ein einziger Mann in ganze Paris wahrnahm.
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10
E in garstiger Wind blies durch den Parc Vert Galant, der an Lyon zurrte, als er sich in den Schatten unter der Brücke drückte. Er blickte zu den Ahornbäumen entlang des Ufers. Kein einziges goldenes Blatt regte sich.
Die Anderwelt hatte diese noch nicht infiltriert, die Absichten ihrer Bewohner hingegen schon. Immer wieder trafen ihn Strahlen ihrer wabernden Energie wie Funken aus einem qualmenden Schornstein. Sie spürten seine Schwäche, weshalb sie unruhig auf eine Gelegenheit warteten, ihn zu peinigen.
Eine Frau ging an ihm vorbei und wurde langsamer. Sie war die fünfte, seit er heute Morgen hergekommen war. Was sie so magisch zu ihm hinzog, wusste er nicht, aber er hatte mittlerweile längst aufgehört, sich darüber zu ärgern.
Übelkeit und Sorge erfüllten ihn, so dass es ihm zusehends schwerfiel, klar zu denken. Das nicht erfüllte Ritual vor drei Nächten hätte weitreichende Folgen.
Mit seiner Gesundheit litten auch seine Ländereien, was hieß, dass viele seiner Weinstöcke es nicht über den Winter schaffen würden.
Außerdem würden Liber und Ceres wie auch all die anderen Tiere seiner Menagerie, deren Überleben von ihm, von seiner Existenz abhing, bald schon erkranken, weil sein Befinden sich auf sie auswirkte.
Und ohne ihn konnten seine Brüder das heilige Portal nicht ausreichend schützen, das im tiefen Dunst des Tales mitten in ihren Weingütern verborgen war. Mit Lyons Tod würde die Pforte zwischen der Ander- und der Erdenwelt angreifbar, was verheerend wäre. Kreaturen, die von Göttern einer längst vergangenen Zeit gezeugt worden waren, würden in diese eindringen und schlimmste Verwüstungen anrichten.
Nein, er durfte hier nicht sterben! Er würde weder seine Weinreben noch seine Tiere oder seine Brüder einem derartigen Schicksal ausliefern. Entschlossenheit machte ihn stärker, so dass die nächste Windböe ihn kaum mehr berührte. Er schlang die Arme fester um seinen schlotternden Oberkörper und fixierte den Blick auf die rote Tür am Quai de Conti, auf die er bereits den ganzen Vormittag starrte.
Minuten später schwang sie auf. Eine Frau mit einem roten Umhang über dem Arm kam heraus, jung und mit blassblondem Haar.
Ihr Anblick weckte sofort befremdliche Gefühle in ihm. Verrat. Zorn. Sehnsucht.
Sehnsucht?
Er entsann sich nicht, sich in seinen sechsundzwanzig Jahren jemals nach einer Frau im Besonderen verzehrt zu haben.
Bacchus!
Was hatte sie mit ihm gemacht?
Er richtete sich auf und raffte die Kraft zusammen, um ihr zu folgen. Als er sah, dass sie auf ihn zukam, bedankte er sich im Stillen bei den Göttern. Sie lief auf die Brücke zu, und obgleich er sie kurzfristig aus den Augen verlor, konnte er ihren Duft mühelos aufspüren und wusste, dass sie sich ihm näherte. Er konnte sein Glück nicht fassen, denn ihre Schritte erklangen
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