Die Braut des Satyrs
auf der Treppe, die ihm am nächsten war.
Die Frau lief sie hinab und kam direkt in seine Richtung, als wüsste sie, dass er hier war, und wollte sich mit ihm treffen. Nach all der Mühe, die es ihn gekostet hatte, um in diesen Park zu gelangen, und den Stunden, die er in der kühlen Morgenluft hier gewartet hatte, sollte es so einfach für ihn werden?
Ihr Duft wie auch ihre Schritte näherten sich, während sie an manchen Stellen auf der Treppe so lange zögerte, dass er schon fast fürchtete, sie hätte gespürt, dass er ihr auflauerte.
Endlich stand sie auf Zehenspitzen unten an der nordwestlichen Treppe, keine vier Meter von ihm entfernt, und blickte auf den Fluss.
In Reichweite.
Ihre Stimme drang zu ihm. »… an die Brühe einen Hauch Zimt und eine Prise Koriander geben, und das
Viande
zwei Stunden darin schmoren; dabei muss es ab und zu gewendet werden …«
Sie rezitierte Rezepte?
Juliette blieb auf der untersten Stufe der Treppe stehen, die vom Pont Neuf in den Parc Vert Galant führte. Eine Stufe noch, und ihre Füße berührten das Gras.
Der Geruch des trüben Flusses füllte ihre Nase, und all ihre Sinne sträubten sich gegen ihn, dass ihr schwindlig wurde. Seit drei Tagen war sie jeden Morgen hierhergekommen und hatte sich ein paar Stufen weiter hinab gewagt – weiter, als ihr wohl war. Aber heute hatte sie die Grenze erreicht. Sosehr sie auch wollte – sie konnte sich nicht dazu bringen, den Park zu betreten.
Mit einer Hand umklammerte sie das Geländer und reckte ihren Hals, um sich am Ufer und im Park umzusehen. Heute Vormittag hielten sich kaum Leute hier auf, denn dunkle Wolken brauten sich am Himmel zusammen, und die Atmosphäre war seltsam beunruhigend.
Wie jedes der vorherigen Male überkam sie auch jetzt wieder eine furchtbare Enttäuschung. Was hatte sie erwartet, schalt sie sich. Die Frau mit dem Fischschwanz, die mit Lyon hier gewesen war – die Sibela hieß, wie er gesagt hatte –, kam offensichtlich nicht zurück.
Dies war das letzte Mal, das sie sich zu dem fruchtlosen Unterfangen herwagen durfte. Sie verließ Paris, jetzt gleich, und würde so weit von hier fortgehen, wie sie konnte. An einem fernen Ort würde sie versuchen, genug Geld zu verdienen, um einen Detektiv zu bezahlen, der hier nach Fleur suchte.
Fleur!
Ein Schluchzer steckte in ihrer Kehle. Ihre Wange brannte noch von Valmonts Handabdruck, und wütende Tränen Frusts verschleierten ihr die Sicht. Sie wischte sie fort, machte sich gerade und schob sich Tasche und Umhang fester auf den angewinkelten Arm, während sie all ihren Mut zusammennahm. Dann legte sie ihre Finger nochmals auf das Geländer und machte sich bereit, die Treppe wieder hinaufzusteigen.
Von heute an war sie auf der Flucht.
Ein überraschter Schrei entfuhr ihr, als sich plötzlich eine männliche Hand von der anderen Seite der Steinbalustrade auf ihre legte. Gleichzeitig umfing ein muskulöser Arm ihre Taille.
Ehe sie sich’s versah, wurde sie über das Geländer auf die andere Seite gezerrt, wo sie an einer breiten Brust landete. Der Arm an ihrer Taille umgriff sie fester, so dass sie mehrere Zentimeter über dem Boden baumelte. Eine große Hand drückte von hinten gegen ihren Kopf und presste ihre Nase gegen die Männerbrust, so dass jeder Schrei von ihr gedämpft würde.
Juliette ließ ihre Tasche und den Umhang fallen, um wild in die männlichen Rippen zu boxen, doch ihr Angreifer schien es gar nicht zu beachten. Trockenes Laub knisterte und raschelte unter seinen Stiefeln, als er sie weiter wegtrug. Für einen Moment hatte die Angst vor ihm alle anderen Ängste überlagert, so dass sie kaum bemerkte, wie sie in die äußeren Winkel des Parks gelangten.
Wortlos drängte er sie in den Schatten der Brücke, wo sie zwischen ihm und dem kalten Stein gefangen war. Dann stand er einen Moment lang nur da, seinen Kopf in ihre Schulterbeuge gesenkt, und inhalierte tief, als hätte ihre Verschleppung ihn atemlos gemacht.
»Juliette?« Er hielt sie so nahe an sich gedrückt, dass seine Frage in ihrer Brust vibrierte.
Inzwischen hatte sie es geschafft, ihre Fäuste zwischen ihnen beiden nach oben zu drücken, so dass sie seinen Oberkörper ein kleines Stück von sich abstemmen konnte und sein Gesicht sah.
Bei Gott! Es war Lyon!
»Du! Lass mich los!« Sie versuchte, seitlich auszuweichen, konnte ihn jedoch nur wenige Zentimeter auf Abstand zwingen. »Wenn du hier bist, um mir etwas anzutun, werde ich schreien!«, warnte sie ihn.
Er
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