Die Braut des Scheichs
erreicht, und Xenia hielt unwillkürlich den Atem an, als der Wagen das beeindruckende Tor passierte und in den dahinter liegenden Hof einfuhr. Xenia wusste von ihrer Tante, dass ihr Großvater immer in dem ursprünglichen Familiensitz wohnen geblieben war, der noch aus der Zeit stammte, als Zuran ein Handelshafen gewesen war und die Familie wohlhabende Händler gewesen waren. Allerdings war der Villa in jüngster Zeit ein großer, moderner Anbau hinzugefügt worden, vor allem auf Betreiben von Xenias Onkel Hassan.
Anders als zur Kinderzeit von Xenias Mutter hielt sich die Familie nicht mehr an die Tradition, getrennte Wohnbereiche für Frauen zu halten. Doch Soraya, die Xenia willkommen hieß und in einen angenehm kühlen, eleganten Salon führte, erklärte ihr, dass Abu Assad immer noch seine eigenen, abgeschlossenen Räumlichkeiten in der Villa bewohne. „Kahrun, sein Diener, wird dich zu ihm bringen.“ Ihre Tante zögerte, ehe sie hinzufügte: „Er war wirklich sehr krank, Xenia, und ich möchte dich bitten, auf seine … Verschrobenheiten Rücksicht zu nehmen, auch wenn sie dir fremd sind. Er hat deine Mutter sehr geliebt, und ihr Tod …“
Soraya ließ den Satz unvollendet, und Xenia fragte nicht nach, weil in diesem Moment ein Hausmädchen zum Willkommen den traditionellen starken Kaffee servierte. Allein der Duft erinnerte Xenia an ihre Mutter, die dieses Getränk so geliebt hatte. Kurz darauf erschien ein Diener und bat Xenia mit einer Verbeugung, ihm zu folgen.
Sie tat es mit pochendem Herzen, aber mit hoch erhobenem Kopf. Nachdem sie ein wahres Labyrinth an Korridoren durchschritten hatten, klopfte der Diener schließlich an eine massive, doppelflügelige Holztür.
Der Raum dahinter war kühl und schattig. Durch schmale Fenster blickte man in einen eingefriedeten Garten, aus dem das beruhigende Geräusch sprudelnden Wassers drang, das die Wüstenbewohner so liebten. Die Luft im Raum duftete nach Weihrauch und Sandelholz, wie Xenia es am Morgen auf dem
souk
gerochen hatte … ein Duft, der sofort lebhafte Erinnerungen in ihr weckte an eine kleine, kunstvoll geschnitzte Schachtel, in der ihre Mutter ihre kostbarsten Andenken an ihr verlorenes Zuhause aufbewahrt hatte.
Abu Assad lag ausgestreckt auf einem orientalischen Diwan mit Blick in den Gartenhof. Noch bevor Xenia ihn im Halbdunkel des Zimmers richtig wahrgenommen hatte, hörte sie bereits seine energische Stimme. „Komm näher, damit ich dich ansehen kann“, befahl er. „Mein Arzt hat mir jegliche Anstrengung verboten … und wenn ich nicht sein Missfallen erregen will, muss ich auf diesem unseligen Diwan liegen bleiben.“
Ihr Großvater lachte verächtlich, und Xenia betrachtete ihn genauer. Ihre Mutter hatte Abu Assad als einen unnachgiebigen und harten Mann beschrieben, dem sie gefühlsmäßig nicht gewachsen gewesen war. Aber der alte Mann, dem Xenia sich jetzt gegenübersah, wirkte unerwartet hinfällig und zerbrechlich. In seinem markanten Profil glaubte Xenia den Stolz zu entdecken, von dem ihre Mutter so oft gesprochen hatte, aber der Blick seiner dunklen Augen, der so begierig auf ihrem Gesicht ruhte, verriet nichts von der Ablehnung und der Wut, die ihre Mutter so tief verletzt hatten.
„Ich sehe meiner Mutter nicht sehr ähnlich“, sagte sie betont kühl.
„Das ist auch nicht nötig. Du bist ihre Tochter, das genügt. Kind meines Kindes. Ich habe lange darauf gewartet, dass du herkommst, Xenia. Manchmal habe ich schon befürchtet, du würdest dich nicht mehr rechtzeitig entschließen, so dass ich dich nie mit meinen Augen erblickt hätte. Denn mit meinem Herzen habe ich dich immer gekannt. Du irrst dich“, fügte er entschieden hinzu. „Du bist meiner Mija sehr ähnlich. Sie stand meinem Herzen am nächsten, mein jüngstes Kind. Ihre Mutter war meine dritte Frau.“
Xenia wich seinem Blick zornig aus.
„Es gefällt dir nicht. Nein, leugne es nicht … ich lese es in deinen Augen. Dein glühender Blick verrät deine Gefühle. Auch darin bist du deiner Mutter ähnlich.“
Sie hielt es für klüger zu schweigen. Die Gebrechlichkeit ihres Großvaters berührte sie mehr, als sie sich eingestehen wollte. Sie hatte gewusst, dass er ein alter Mann war … immerhin war er bei der Geburt ihrer Mutter schon über vierzig gewesen. Aber irgendwie hatte sie sich eingeredet, dass er immer noch derselbe starke, grimmige Mann sein würde, den sie aus den Beschreibungen ihrer Mutter kannte … und nicht dieser kränkliche,
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