Die Braut des Shawnee-Kriegers
Beine waren schwer wie Blei, bloß mit äußerster Willenskraft gelang es ihr, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ihr ganzer Körper schmerzte. Ihr Mund schmeckte nach Erbrochenem und Flussschlamm. Den Boden vor sich sah sie nur verschwommen, doch sie gönnte Wolf Heart nicht die Genugtuung, sie jammern zu hören.
Ein Schritt. Noch einer. Sie bewegte sich wie eine Schlafwandlerin. Bewusst war ihr nur, dass Wolf Heart ihr folgte. Er würde sie nicht ausruhen lassen, sondern sie zwingen, den ganzen Weg bis zu seinem Dorf zurückzulegen.
Sie taumelte vorwärts. Jeder Schritt war eine Qual. Plötzlich trat sie in ein wassergefülltes Loch. Sie knickte um und stürzte längelang auf den morastigen Boden.
Nur mit Mühe unterdrückte sie ein Stöhnen, als sie sich wieder auf Arme und Knie hochstemmte. Zur Not würde sie auf allen vieren weiterkriechen, bevor sie diesen arroganten Wilden um Gnade bat.
Sie krallte die Finger in den Schlamm und schob sich vorwärts. Plötzlich schien der Boden unter ihr zurückzuweichen. Wolf Heart hatte sie um die Taille gepackt, und seine kräftigen Arme hoben sie hoch. Er drehte sie in der Luft um ihre eigene Achse und schwang sie sich dann über die Schulter. Ohne ein Wort marschierte er mit langen, kraftvollen Schritten weiter.
Clarissa war wie betäubt, und hilflos schlenkerten ihre Gliedmaßen bei jedem Schritt hin und her. Dann begann sie zu kämpfen. Sie versuchte, mit den Beinen zu strampeln, die er jedoch gnadenlos festhielt. Mit den Fäusten trommelte sie auf den einzigen Teil seines Körpers ein, den sie erreichen konnte … seine muskulösen Hinterbacken. Doch schon im nächsten Augenblick hielt sie entsetzt inne, als ihr klar wurde, worauf sie da einschlug.
Trotz ihrer Angst errötete sie tief. "Lass mich runter!" zeterte sie. "Lass mich augenblicklich runter!"
"Heißt das, du willst lieber laufen?" fragte Wolf Heart, ohne den Schritt zu verlangsamen. Seine Stimme klang beinahe freundlich, doch ihr entging der ironische Unterton keineswegs.
"Darum geht es nicht. Immerhin bin ich eine Dame, und kein Mann hat das Recht, mich so zu behandeln."
"Ach ja?" gab er spöttisch zurück. "Und wie soll ich dich behandeln?"
"Mit Würde und Respekt." Clarissa sank der Mut, als ihr aufging, wie albern sich das anhören musste. Sie hing über seiner Schulter wie ein Mehlsack. Außerdem war sie schmutzig, ihre Füße waren wund, und ihr stand ein so schreckliches Schicksal bevor, dass sie gar nicht daran denken durfte. Auf Würde und Respekt musste sie nun offenbar verzichten.
"Lass mich einfach frei", bat sie flehentlich und gab dabei jeden Versuch auf, weiter die große Dame zu spielen. "Geh deiner Wege, und lass mich es mit dem Wald und den wilden Tieren aufnehmen. Ist das so viel verlangt?"
Wolf Heart schwieg. Als Clarissa den Kopf wandte, sah sie, dass er angespannt flussaufwärts spähte.
"Bitte, Wolf Heart", drängte sie. "Ich habe nichts gegen dich und auch nichts gegen dein Volk. Lass mich hier zurück und vergiss, dass du mir je begegnet bist."
"Dazu ist es jetzt zu spät", sagte er leise. "Sieh selbst."
Er bückte sich und stellte Clarissa auf die Füße. Das Blut strömte ihr aus dem Kopf, und ihr schwindelte. Halt suchend klammerte sie sich mit beiden Händen an Wolf Hearts nackten Arm. Allmählich hörte die Welt auf, sich um sie zu drehen, und ihr Blick klärte sich.
Sie schaute an ihm vorbei auf den in der Sonne flimmernden Fluss. Ein Fischreiher flog auf. Er zog den langen Hals zwischen die Schultern, und seine dünnen Beine schienen beinah im Wind zu flattern. Wie betäubt schaute Clarissa ihm nach, bis er hinter der Uferkrümmung verschwand.
Erst dann entdeckte sie die drei Kanus. Sie waren noch ziemlich weit entfernt, kamen jedoch rasch auf die Sandbank zu, wo sie und Wolf Heart standen.
Es ist zu spät. Seine Worte dröhnten in ihrem Kopf, während sie hilflos den näher kommenden Kanus entgegensah. Zu spät, um sich zu verstecken. Zu spät, um ihn um ihre Freiheit zu bitten. Jetzt gab es keine Hoffnung mehr.
Wolf Heart hob den Arm und winkte. Aus einem der Kanus erwiderte ein Mann den Gruß. Einen Augenblick später hatte sich das schmale Boot vom Pulk der anderen gelöst und näherte sich dem Ufer.
Die Angst schnürte Clarissa die Kehle zu. Seit seine Stammesbrüder sie sehen konnten, hatte Wolf Heart kein Wort mehr mit ihr gesprochen, sie noch nicht einmal mehr angeblickt. Jetzt war er wieder ein Shawnee-Krieger vom Scheitel bis zur Sohle, und
Weitere Kostenlose Bücher