Die Braut des Shawnee-Kriegers
sonnengebräunten Haut für einen Vollblut-Shawnee durchgehen könnte. Nun sah sie ein, wie sehr sie sich geirrt hatte. Zum einen war er viel zu groß. Die Shawnee-Krieger waren untersetzt und drahtig, doch dabei sehr muskulös. Der tiefe Kupferfarbton ihrer Haut konnte unmöglich nur von der Sonne herrühren. Er schien regelrecht in ihnen zu glühen, wie ein Licht, das unter der Haut ihrer Körper schimmerte. Obwohl ihre stechenden Blicke Clarissa vor Angst erbeben ließen, musste sie doch zugeben, dass diese Indianer ausgesprochen schöne Menschen waren.
Einer der Krieger rief lachend etwas herüber. Wolf Hearts Antwort war schroff und abweisend. Was hatte der junge Mann gesagt? Etwas über sie?
Clarissa streifte Wolf Heart mit einem Blick. Er saß im Heck des Kanus, und seine Armmuskeln spielten unter der Haut, wann immer er das Paddel durchs Wasser zog. Sein Haar umfloss sein unbewegtes Gesicht in glänzenden Wellen. Woran dachte er? Warum sah er sie nicht an?
Würgende Angst ergriff Clarissa. Sie schaute hinaus auf das sonnengesprenkelte Wasser, hörte das Lachen der Paddler und das Krächzen einer vorbeifliegenden Krähe. Doch sie wusste, dies alles war nichts als Lug und Trug. Gefahr und Tod lauerten hinter dem scheinbaren Frieden dieses goldenen Tages. Wolf Hearts Miene hatte es ihr verraten.
Die drei Kanus glitten jetzt Bug an Bug dahin, und plötzlich hallte ein Ruf übers Wasser. Die Bewegungen der Krieger wurden unvermittelt schneller, und die Boote schossen mit einer Geschwindigkeit dahin, die Clarissa ganz benommen machte. Es war ein Rennen! Sie veranstalteten ein Rennen zu ihrem Dorf!
Clarissa beugte sich vor. Trotz ihrer Angst griff die Spannung des Wettkampfes auf sie über. Das Kanu, in dem sie saß, trug die schwerste Last und lag deshalb am tiefsten im Wasser. Dieser Nachteil wurde jedoch durch die Kraft der beiden Paddler ausgeglichen. Selbst Wolf Heart hatte sich auf das Spiel eingelassen. Entschlossen presste er die Lippen zusammen, während er mit dem Paddel das Wasser durchpflügte.
Die Kanus verloren ein wenig an Tempo, als sie in einen schmalen Nebenarm des Ohio einbogen. Jetzt fuhren sie flussaufwärts. Die bronzefarbenen Glieder der jungen Shawnee glänzten vor Schweiß. Ihre Rücken hoben und senkten sich im Rhythmus ihrer Bewegungen.
Als es schon fast so aussah, als würde ihre Kraft erlahmen, begann Wolf Hearts pockennarbiger Freund zu singen. Clarissa spürte, wie ihre Nackenhaare sich aufrichteten, derweil seine dünne Stimme hinter ihr einen hohen Klagelaut ausstieß und dann unvermittelt einen gutturalen, rhythmischen Gesang anstimmte, in den die anderen Paddler einfielen. Mit neuer Kraft schossen die Boote vorwärts, angetrieben von dem hämmernden Gleichmaß des Gesangs.
Ein Blick über die Schulter verriet Clarissa, dass auch Wolf Heart sich beteiligte, wenn auch mit wenig Begeisterung. Sie musterte ihn verstohlen. Mit der Ankunft der anderen Männer hatte er sich irgendwie verändert. Er wirkte nachdenklich, fast düster. Wenn sie doch nur mit ihm reden könnte! Doch ihr war klar, dass das nun unmöglich war. Er hatte sich ganz und gar in seine Shawnee-Persönlichkeit zurückgezogen und war für sie unerreichbar geworden.
Sie wandte sich von ihm ab und schaute nach vorn, wo der Fluss eine Biegung machte und hinter einem niedrigen, bewaldeten Felsvorsprung verschwand. Eine frische Brise kühlte ihr Gesicht. Sie atmete tief ein und erkannte den unverwechselbaren Geruch von Holzfeuern, gebratenem Fleisch, Tabak und Maismehl.
Ihr Körper spannte sich an, als hätte sich eine Schlinge um sie gelegt. Die Gerüche verrieten ihr, dass das Shawnee-Dorf nicht mehr weit sein konnte. Bald würde sie wissen, welches Schicksal sie erwartete.
Die strahlende Helligkeit des Tages begann zu schwinden. Die Sonne stand nur noch eine Handbreit über den Bäumen, ein wenig verschleiert von niedrig dahinziehenden Wolken. Bald würde es dämmern … und dann kam die Nacht.
Clarissa nahm noch einmal alles in sich auf – das schwindende Licht, das sich verdunkelnde Blau des Himmels, das blasse Grün der sprießenden Zweige und das weiche Rostrot der jungen Weiden. Daran wollte sie sich erinnern, wenn die Dunkelheit sich um sie schloss.
Wahrscheinlich würde sie keinen Sonnenaufgang mehr erleben.
Das Indianerdorf schmiegte sich in den Windschatten des Felsvorsprungs, der in den Fluss hinausragte. Kochfeuer flackerten im Zwielicht der Dämmerung. Rauchsäulen ringelten sich aus den
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