Die Braut des Shawnee-Kriegers
gewalttätigen, unbeherrschten Fremden. Je mehr er trank, desto öfter schlug er mich. Ich hätte davonlaufen sollen, aber ich war doch noch ein kleiner Junge, und er war alles, was ich hatte.
Als wir unser Haus an die Wucherer verloren, begann er großartige Pläne zu schmieden. Er wollte in den Pelzhandel einsteigen. Er verdingte uns beide als Tagelöhner, bis er genug Geld hatte, um Fallen zu kaufen. Dann gingen wir nach Westen … viel weiter, als jeder vernunftbegabte Mensch allein gegangen wäre. Wir waren gerade auf der Biberjagd an der Mündung des Little Miami, als eine Bärin aus dem Dickicht brach. Sie packte meinen Vater, bevor er auch nur einen Schritt tun konnte." Selbst jetzt noch spürte Clarissa das Schuldbewusstsein, das aus seinen Worten sprach. "Ich konnte ihn nicht retten. Ich konnte nur noch um mein Leben rennen." Sie hörte sein schweres Ausatmen. "Der Junge namens Seth Johnson starb an jenem Tag und wurde als Shawnee wieder geboren."
Stille baute sich zwischen ihnen auf wie eine Mauer, die immer dicker wurde. "Die Shawnee haben dich gefunden und mitgenommen?" fragte sie, als sie das Schweigen nicht länger ertragen konnte.
"Sie gaben mir alles, was ich längst verloren glaubte", sagte er. "Familie, Ehre, Güte und ein Leben voll Sinn und Zweck."
"Und als du dich der Prüfung unterziehen musstest …" Ein bitterer Unterton hatte sich in ihre Stimme geschlichen. "Hast du dich da als würdig erwiesen, unter ihnen zu leben?"
"Ja", sagte er so leise, dass Clarissa ihn kaum hören konnte.
"Und ich habe mich immer wieder bewähren müssen. Selbst jetzt."
Von seinen kraftvollen Paddelschlägen getrieben, schoss das Kanu vorwärts. Tiefe Mutlosigkeit überfiel sie. Nun wusste sie, weshalb Wolf Heart sie gefangen genommen hatte und weshalb er sie niemals freigeben würde. Wenn er mit einer weißen Gefangenen Mitleid zeigte, würde er sich seines Stammes unwürdig erweisen. Es wäre ein Beweis dafür, kein echter Shawnee zu sein. Man würde ihn ausstoßen und aus einer Welt vertreiben, die er kannte und liebte.
Sie durfte keine Gnade von ihm erwarten.
Die Strömung hatte spürbar nachgelassen, und sie passierten eine Stelle, wo der Flusslauf sich verbreiterte und eine Art See bildete. Hier war das Wasser so ruhig, dass man die Strömung kaum noch bemerkte. Clarissa starrte hinab in den trüben Ohio und fragte sich, was wohl unter der Oberfläche sein mochte. Da der Fluss hier so breit war, konnte er nur ein paar Fuß tief sein. Ein weiterer Vorteil war, dass das Ufer dicht mit Weiden und Gebüsch bewachsen war. Falls es ihr gelang, dorthin zu kommen, würde sie sich vielleicht verstecken können, bis Wolf Heart glaubte, sie sei ertrunken, und die Suche nach ihr aufgab.
Eine heftige Erregung packte Clarissa. Zugegeben, es war ein kühner Plan, aber selbst die kleinste Chance zur Flucht war besser, als es erst gar nicht zu versuchen.
Sie streifte ihren Bewacher mit einem Blick, musste jedoch feststellen, dass dieser sie nicht aus den Augen ließ.
"Wie weit ist es noch bis zu deinem Dorf?" fragte sie, um ihn abzulenken.
"Nicht weit." Er zog das Paddel durch das glitzernde Wasser. "Wir werden vor Sonnenuntergang dort sein."
"Dann warst du ja ziemlich weit weg von zu Haus, als du mich gefunden hast", stellte sie fest. "Was hast du dort gewollt?"
"Ich habe einen Bären verfolgt."
"Einen Bären?" Clarissa fuhr zurück. Sie stellte sich vor, wie sie bewusstlos am Flussufer lag und das gewaltige Tier aus dem Wald trat und an ihrem bewegungslosen Körper herumschnüffelte.
"Es war vergebens", sagte Wolf Heart. "Als ich dich fand, hatte ich seine Spur längst verloren."
"Dann wirst du zumindest nicht mit leeren Händen nach Haus kommen." Clarissa fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die verfilzten Locken und machte dabei so viel Aufwand wie nur eben möglich, um seinen Blick auf ihre Haare zu richten. Währenddessen machte sie ihre Beine unter den Röcken sprungbereit. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und sie spannte den ganzen Körper an. Dann sprang sie auf und machte einen Satz, der sie über den Bootsrand hinaustrug.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie zwischen Himmel und Wasser zu schweben. Dann schlug das kalte Nass über ihr zusammen, und sie begann zu sinken. Ihre Füße tasteten nach dem Grund, der doch innerhalb ihrer Reichweite hätte sein müssen! Aber sie spürte nichts.
Zu spät begriff Clarissa, wie sehr sie sich geirrt hatte. Der Fluss war an dieser Stelle viel
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