Die Braut des Shawnee-Kriegers
wie ein Reibeisen. " We-sah", krächzte sie und hielt ihr eine aus einem Kürbis gefertigte Schüssel hin. " We-sah."
Die alte Frau wirkte nicht gefährlich, nicht einmal unfreundlich, aber Clarissa hatte einen langen, schlimmen Tag hinter sich. Obwohl sie schier am Verhungern war, brachte sie es nicht über sich, die Kürbisschüssel aus der knotigen Hand entgegenzunehmen. Sie kauerte sich zusammen wie ein gefangenes Tier.
Erst als die Alte die Schüssel auf den Boden gestellt und die Hütte verlassen hatte, fasste Clarissa sich ein Herz und kroch darauf zu. Das Essen, eine Art Eintopf, war noch warm. Sein Duft war so verlockend, dass Clarissa vor Hunger fast aufstöhnte.
Sie tastete den Boden nach Besteck ab. Als sie nichts fand, rümpfte sie indigniert die Nase. Wie in aller Welt sollte sie essen? Mit den Fingern vielleicht?
Offenbar war es so.
Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, und trotz ihres Widerwillens wischte sie sich die Hand am Rock ab, tauchte einen Finger in den Eintopf und leckte ihn ab. Es schmeckte so wundervoll, dass ihr fast schwindlig wurde.
Mit Zeigefinger und Daumen fischte sie ein kleines Stück Fleisch heraus und verspeiste es. Außerdem gab es in dem Eintopf noch Mais, Zwiebeln und ein ihr unbekanntes Gemüse, das wie Kürbis duftete.
Ohne weiter nachzudenken, nahm sie die Schüssel auf, legte den Kopf in den Nacken und schlürfte gierig den duftenden Inhalt. Nur die Angst, es könnte ihr wieder übel werden, hielt sie davor zurück, wie ein hungriger Hund alles auf einmal in sich hinein zu schlingen.
Trotzdem dauerte es nur ein paar Minuten, bis sie das letzte Krümchen gegessen und die Schüssel ausgeleckt hatte. Jegliche Tischmanieren außer Acht lassend, schleckte sie ihre Finger ab und rieb sie danach an ihrem arg mitgenommenen Rock trocken. Schließlich kroch sie zur Tür und schob die leere Schüssel unter dem ledernen Vorhang durch. Sie wollte verhindern, dass die alte Frau noch einmal hereinkam und sie erschreckte.
Was nun? Clarissa gähnte herzhaft und setzte sich mit gekreuzten Beinen in die Mitte ihres Gefängnisses. Auf keinen Fall durfte sie an diesem gefährlichen Ort einschlafen. Aber es konnte doch sicher nicht schaden, sich hinzulegen und ihrem ausgelaugten Körper für ein paar Minuten Ruhe zu gönnen.
In der Hoffnung, eine Schlafmatte oder Decke zu finden, suchte sie den dunklen Boden ab. Rechts vom Eingang entdeckte sie ein frisch ausgehobenes Loch, das – wie sie schockiert begriff – als Toilette dienen sollte. Ansonsten fand sich nichts, das ihrer Bequemlichkeit hätte dienen können.
Erschöpft streckte Clarissa sich am Boden aus. Der festgestampfte Lehm fühlte sich unter ihrem gemarterten Körper hart wie Stein an. Wie gern hätte sie eine weiche Unterlage gehabt! Vielleicht war es aber auch ganz gut so, denn eine Decke würde vermutlich vor Ungeziefer wimmeln.
Sie schob den Arm unter den Kopf und starrte in die Dunkelheit. Durch die dünnen Wände konnte sie die Geräusche des Shawnee-Dorfs hören … das Knistern der Holzfeuer, das vereinzelte Bellen eines Hundes, das aufund abschwellende Murmeln menschlicher Stimmen und ab und zu das Wiehern eines Pferdes. Im Innern ihrer kleinen Hütte roch es nach kaltem Rauch – und nach Angst.
Wie viele andere Gefangene mochten in dieser elenden Hütte gelegen haben, frierend, besiegt und furchterfüllt? Wie viele andere arme Seelen hatten ihre letzten Stunden hier verbringen müssen? Lauerten ihre Geister flüsternd und klagend in der Dunkelheit?
Doch es tat nicht gut, solch trüben Gedanken nachzuhängen. Es machte nur mutlos. Falls dies ihre letzte Nacht auf Erden war, wollte sie sie mit fröhlichen Gedanken und glücklichen Erinnerungen füllen.
Sie gähnte wieder und ließ ihre Gedanken zu einem längst vergangenen Frühlingstag schweifen, einem Tag voller Sonne, Liebe und Lachen. Damals war sie sechs gewesen, und der Obstgarten stand in voller Blüte. Die zarten weißen Blüten wirkten wie Wolken gegen den blauen Himmel, und ihr Duft umwehte sie auf ihrer Schaukel. "Höher, Papa!" jauchzte sie. "Höher …"
Im nächsten Augenblick übermannte sie ein tiefer, aus Erschöpfung geborener Schlaf.
Es dämmerte schon, als Clarissa die Augen aufschlug. Einen Moment lang lag sie ganz still und sah die bleichen Lichtstreifen, die durch die Spalten des Rindendachs fielen. Ihr Körper war in eine dicke, frisch duftende Wolldecke eingehüllt. Unwillkürlich kuschelte sie sich noch tiefer hinein … um im
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