Die Braut des Shawnee-Kriegers
zog Clarissa einen Zipfel der weichen Lederrobe über das kleine, verschrumpelte Gesicht der alten Frau. Zwischen ihnen beiden hatte es nie eine offene Zurschaustellung gegenseitiger Zuneigung gegeben, doch Swan Feather hatte sie geliebt. Das wusste Clarissa mit unerschütterlicher Gewissheit.
Ein Schluchzer drang aus ihrer Kehle, dann noch einer und noch einer. Ehe sie sich versah, überfiel sie ein herzzerreißender Weinkrampf. Tränen strömten ihr aus den Augen, und ihr Körper erbebte unter dem Ansturm so heftiger Gefühle, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.
Sie weinte immer noch, als White Moon kam und sie fand.
In ihrem schönsten Kleid wurde Swan Feather am Rand ihrer geliebten Wiese begraben, ihr Kopf der sinkenden Sonne zugewandt. Es wurde nichts hinterlassen, das die Stelle markierte. Wenn der Sommer zu Ende war, würde Gras den kleinen Erdhügel bedecken, und im Frühling würden die Wildblumen in verschwenderischer Pracht dort blühen.
Nachdem alle anderen ins Dorf zurückgegangen waren, saß Clarissa noch neben dem Grab und schaute hinaus auf die Wiese. In der anbrechenden Dämmerung glaubte sie, die gnomenhafte Gestalt ihrer Pflegemutter zu sehen, wie sie durch das hohe Gras watete und ihr silbriges Haar in der Sonne leuchtete.
Was sollte sie nur tun, nun, da die alte Frau gegangen war? Wer würde jetzt ihre Lehrerin sein? Ihre Mutter?
"Dancing Fox?" Die Stimme hinter ihr klang zögernd, beinahe zaghaft. Clarissa wandte sich um und sah eine Frau, die sie kannte – eine noch junge Witwe, die am anderen Ende des Dorfs lebte. Sie war ihr schon begegnet, hatte aber noch nicht mit ihr gesprochen. Jetzt hockte sie ein paar Schritte entfernt im Gras, und ihre tränennassen Augen sahen sie flehend an.
"Es ist meine kleine Tochter, Dancing Fox. Ich hätte dich in deiner Trauer nicht gestört, aber sie hat seit gestern hohes Fieber. Ich habe versucht, sie abzukühlen, nur wird das Fieber immer schlimmer, und ich fürchte …"
Clarissa wurde die Kehle eng, als sie begriff, was die Frau von ihr wollte. "Glaubst du etwa, ich könnte dein kleines Mädchen heilen?" flüsterte sie.
"Du bist die einzige mekoche im Dorf. Bitte!"
"Aber ich lerne noch! Ich weiß noch so wenig …"
"Du bist Swan Feathers Tochter! Bitte! Es ist doch sonst keiner da!"
Clarissa zögerte, aber nur einen Herzschlag lang. Swan Feather hatte ihr Wissen nicht grundlos weitergegeben. Ob sie es sich zutraute oder nicht, ein Kind brauchte Hilfe, und die konnte sie ihm nicht versagen.
"Bring mich zu deiner kleinen Tochter", sagte sie und stand auf. Sie schwankte ein wenig, weil sie so lange mit gekreuzten Beinen dagesessen hatte. "Ich werde tun, was ich kann.", fügte sie hinzu.
Wolf Heart hockte auf den Fersen und schaute abwesend in das verlöschende Feuer. Der Mond stand hoch am Himmel, und seine Gefährten hatten sich schon zur Nacht in ihre Decken gewickelt. Doch er konnte nicht schlafen, sosehr er sich auch bemühte.
"Jetzt seht euch den Burschen an!" spottete Cat Follower von der anderen Seite der Feuerstelle. "Ein ganz schlechtes Zeichen, wenn ein Mann keinen Schlaf findet, ohne sich vorher mit seiner Liebsten vergnügt zu haben. Ich sage euch, die Ehe verdirbt einen Mann für alles, was sich lohnt … wie Krieg oder Jagd beispielsweise. Ich dagegen bin immer froh, wenn ich die Chance habe, mal von den Frauen wegzukommen. Sie sind andauernd hinter mir her, und es kostet mich meine ganze Kraft, sie mir vom Leib zu halten."
"Kannst du eigentlich nie den Mund halten?" knurrte Swift Eagle von seinem Nachtlager am Fuß eines Baumstumpfs. "Lass Wolf Heart in Ruhe. Der stört einen wenigstens nicht beim Schlafen mit dämlichem Gerede."
Wolf Heart ignorierte das gutmütige Wortgerangel seiner beiden Freunde. Seine Gedanken waren bei Clarissa und ihrem Abschied, als sie vor der Hütte stand und ihm nachwinkte, bis er außer Sichtweite war. Er hatte sie schon früher gelegentlich verlassen müssen, aber diesmal war es anders. Irgendetwas nagte an ihm. Vielleicht war es der Gedanke daran, dass sie sein Kind trug. Vielleicht ging es aber auch viel tiefer … eine böse Vorahnung, die er beim besten Willen nicht erklären konnte.
Während er das allmähliche Verlöschen des Feuers beobachtete, hallte aus großer Entfernung das Heulen eines Wolfs durch den Wald. War es eine Botschaft von seinem unsoma? Oder war es nichts weiter als ein normales Wolfsrudel bei seiner nächtlichen Jagd? Rastlos hob Wolf Heart einen Stein
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