Die Braut des Vagabunden
zurückgekehrt, hätte er belustigt zusehen können, wie die gute Gesellschaft sich überschlug, um den Namen seiner nicht existierenden Braut herauszufinden.
Doch nun war er mit einer Gemahlin nach London zurückgekehrt. Und offensichtlich hatte man in der Gesellschaft schon seit Monaten versucht, etwas über sie in Erfahrung zu bringen. Jetzt bestand keine Möglichkeit mehr für Temperance, ihre ersten Schritte auf dem gesellschaftlichen Parkett unauffällig zu absolvieren.
Jack ballte seine Hände zu Fäusten und wünschte, sie Fotherington ins Gesicht schlagen zu können. Bloß würde das nichts nützen. Bald würden die ersten Einladungen kommen, und Jack wusste, dass er einige davon annehmen musste, doch er konnte seinen Einfluss geltend machen, um alles für Temperance leichter werden zu lassen. Durch das Tor ging er zum Haus zurück. Er wusste, es würde Temperance leichter fallen, wenn sie ihren ersten öffentlichen Auftritt im Haus von Lord und Lady Halross hinter sich brachte. Gleich würde er eine Nachricht schicken, in der er um eine solche Einladung bat.
Vom Fenster aus sah Temperance, wie Jack auf den Stufen stand, die zum Fluss hinunterführten. Jack hatte immer gesagt, die Welt sollte glauben, dass ihre Verbindung am Ende einer langen, sehr diskreten Werbung stand, aber nie hatte sie damit gerechnet, das Objekt von Neugierde zu sein, ehe sie in die Gesellschaft kam. Falls Fotherington in Covent Garden nach Informationen suchte – was sollte ihn daran hindern, die ganze Stadt zu durchforschen? Ihr ganzes Leben hatte sie in Cheapside verbracht. Man brauchte nichts als ihren Geburtsnamen, dann würde sich von ihren früheren Nachbarn oder aus den Büchern der Tuchhändlergilde alles über sie in Erfahrung bringen lassen.
Temperance Challinor aus Cheapside, Jungfer und Tuchhändlerin. Sechs Tage in der Woche hatte sie unter den Augen der Öffentlichkeit gelebt. Selbst an Sonntagen wäre jeder Besucher in ihrem Laden von ihren Nachbarn beobachtet worden.
Sie holte tief Luft, als ihr klar wurde, wie verdächtig es wirken würde, wenn irgendjemand Erkundigungen über ihre Vergangenheit einholte. Für die angenommene Werbung gab es keine Zeugen, denn sie hatte nie stattgefunden, doch viele Menschen würden ihrem Erstaunen darüber Ausdruck verleihen, dass sie angeblich eine heimliche Affäre gehabt haben sollte. Sie fragte sich, ob Jack wohl daran gedacht hatte und ob sie ihm das sagen sollte. Vielleicht sollte sie erst einen Entschluss fassen. Irgendwann im vergangenen Jahr musste es einen Zeitraum gegeben haben, in dem er ihr den Hof hätte machen können, ohne die Aufmerksamkeit der Nachbarn zu erregen.
18. KAPITEL
Die Nacht vor dem Dreikönigstag
„Ich habe nicht damit gerechnet, so bald dem König vorgestellt zu werden“, sagte Temperance und strich mit den behandschuhten Händen ihren Rock aus cremefarbenem und goldenem Brokat glatt. Sie fuhren mit dem Prunkschiff der Kilverdales über die Themse zum Palast nach Whitehall.
„Tempest.“ Jack legte einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. „Mach dir keine Sorgen, Liebste.“ Er küsste ihre Schläfe. „Der König ist sehr umgänglich. Du wirst das ganz großartig machen – und alle weiteren Einladungen werden wir ablehnen.“
„Meinetwegen ist das nicht nötig“, sagte sie. „Wir müssen alles tun, um jedes Gerede zu vermeiden.“
„Du warst großartig.“
„Ich habe nachgedacht.“ In seinem Arm drehte sie sich herum, legte eine Hand an seine Brust und flüsterte ihm ins Ohr: „Wir sind uns während der Pest begegnet.“
„Tatsächlich?“ Verwirrt sah er sie an. „Warum sagst du mir das jetzt?“
„Weil es mir eingefallen ist.“ Sie umfasste sein Kinn und drehte seinen Kopf weg, damit sie ihm weiterhin ins Ohr flüstern konnte. „Das war die einzige Zeit, in der sich jeder zu sehr vor der Ansteckung fürchtete, um sich um die Moral seiner Nachbarn zu kümmern“, sagte sie. Es war unwahrscheinlich, dass jemand bei den Geräuschen, die der Fluss machte, hören konnte, was sie sagte, trotzdem wollte sie kein Risiko eingehen.
Seit der Begegnung mit Fotherington hatten sie mehrere Einladungen angenommen. Obwohl sie wusste, dass Jack alle sorgfältig ausgewählt hatte, hatte sie stets befürchtet, jemand könnte die Rechtsgültigkeit ihrer Heirat in Zweifel ziehen. Es gab so viele Dinge, um die sie sich sorgte. Nicht nur, dass sie nicht mit Jack verheiratet gewesen war, als sie behauptete, seine Witwe zu sein. Das
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