Die Braut des Vagabunden
war ihr gefährlichstes Geheimnis, das für immer bewahrt werden musste. Im Gegensatz dazu würde es unmöglich sein, ihre Herkunft aus einfachen Verhältnissen zu verschleiern. Temperance war froh, dass diejenigen, die davon wussten, wozu auch Swiftbourne und die Halrosses gehörten, nichts gesagt hatten. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis sich herumgesprochen hatte, dass sie eine Ladenbesitzerin aus Cheapside war. Wann immer Temperance sich in Gesellschaft bewegte, waren ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt von der Anstrengung, Haltung zu bewahren und auf ihre Worte zu achten. Und selbst wenn Jack nie auch nur ein Jota seiner kühlen Selbstsicherheit zu verlieren schien, spürte sie die Spannung in den Muskeln, die unter seiner eleganten Kleidung lagen.
Ein einziges Mal war Temperance in der Lage gewesen, sich in der Öffentlichkeit zu entspannen: bei einem Theaterbesuch. Selbst da war sie sich voller Unbehagen bewusst gewesen, dass sie beinahe so viel Aufmerksamkeit auf sich zog wie das Stück. Eine Frau etwa hatte sie so aufmerksam beobachtet, dass sie Jack beinahe gefragt hätte, ob er sie kannte. Es gab so viele, die Temperance mit unverblümter Neugier anstarrten. Es gefiel ihr nicht, aber sie begann, sich daran zu gewöhnen.
„Warst du während der Pest in London?“, flüsterte sie. „Oder gab es Zeiten, in denen niemand wusste, was du tatest und wo du in London hättest sein können?“
Jack drehte den Kopf, und ihre Lippen berührten sich beinahe.
„Ja“, sagte er. Sie betrachtete seinen Mund, und selbst im trüben Licht der Kabine sah sie seine Augen dunkler werden.
„Jack, denkst du an die Pest?“, fragte sie unsicher.
„Nein.“ Er küsste sie.
Obwohl sie es in seinen Augen gesehen hatte, war sie überrascht. Seit den Hochzeitsfeierlichkeiten hatte er sie nicht mehr so voller Verlangen geküsst. Sie reagierte mit aller Leidenschaft. Es war ihr wichtig, dass er sie begehrte, und das tat er offensichtlich noch. Heiß und drängend fühlte sie seine Lippen auf ihrem Mund, während er mit seiner Zunge ihre Erregung entfachte. Als er den Kopf hob, schien ihre Haut zu brennen, und ihr Blick war verschleiert vor Lust.
Er zog sie fester in seine Arme, und eine kleine Weile war in der Kabine nichts anderes zu hören als ihrer beider Atem. Schließlich sagte er: „Nach dem heutigen Abend werden wir uns ein paar Tage von unseren gesellschaftlichen Verpflichtungen zurückziehen.“
„Können wir das tun?“, fragte sie, obwohl ihr Herz bei seinen Worten einen Satz machte.
„Natürlich! Wir sind immer noch in den Flitterwochen! Erst stellen wir dich dem König vor, und dann verbringen wir ein paar Tage allein.“
„Wenn du meinst, das geht.“ Temperance seufzte erleichtert und lehnte sich an ihn. Dabei fiel ihr etwas ein.
„Lord Swiftbourne wird heute auch hier sein, oder?“, fragte sie.
Das war das Letzte, was Jack von ihr erwartet hatte. Ihm war beinahe schwindelig vor Erleichterung, weil sie seinen Kuss auf diese Weise erwidert hatte, aber er rückte ein Stück von ihr ab.
„Ja, ich wage zu behaupten, dass er anwesend sein wird“, sagte er, wobei seine Stimme kühler klang, als er es beabsichtigt hatte. „Sollten wir mit ihm sprechen müssen, wird er sehr höflich sein.“
„Ich weiß“, sagte Temperance. „Nur kam mir gestern der Gedanke, dass – weißt du, warum Lady Desirée sich an ihrem ersten Tag auf Kilverdale Hall so unbehaglich fühlte und sie so still war?“
Die Frage überraschte Jack. Natürlich wusste er, warum Desirée sich in seinem Haus nicht wohl fühlte. Bei ihrem letzten Besuch hatte er sich eine unverzeihliche Grobheit erlaubt. Ehe er etwas erwidern konnte, sprach Temperance rasch weiter.
„Es lag nicht an dem, was sich zwischen euch abgespielt hat. Es lag daran, dass sie ständig damit rechnete, ihrem Vater zu begegnen.“
„Wie bitte?“ Verwirrt schüttelte Jack den Kopf. „Er ist seit Jahren tot! Glaubt sie, sein Geist ist eingezogen, um sich an mir zu rächen …?“
„Nein, nein, nein!“ Temperance legte ihm ihre Hand auf den Mund. „Du hast eine sehr ausufernde Vorstellungskraft“, sagte sie, zweifellos belustigt. Jack stellte fest, dass er vollkommen von ihr verzaubert sein musste, denn ihr neckender Tonfall weckte in ihm ein Glücksgefühl.
„Muss ich als dein Gemahl mich von dir auslachen lassen?“, fragte er, doch seine Stimme wurde von ihrer Hand erstickt. Er küsste die Innenfläche und wurde mit einem überraschten
Weitere Kostenlose Bücher