Die Braut des Vagabunden
mit diesem beunruhigenden Glanz in den Augen, und sie vergaß jede Zurückhaltung.
„Was wollt Ihr hier?“, fragte sie.
„Ich bin gekommen, um mich zu überzeugen, dass Ihr das Abenteuer der vergangenen Nacht unversehrt überstanden habt.“
„Vielen Dank. Wie Ihr seht geht es mir gut“, erwiderte Temperance, um einen förmlichen Tonfall bemüht.
„In der Tat, sehr gut“, sagte er. „Eure Augen sind so klar wie der Sommerhimmel …“
„Sie sind blau“, sagte sie leise.
„Natürlich, sonst hätte ich sie mit etwas anderem verglichen. Und Euer Haar …“
„… ist braun.“
„Seid Ihr entschlossen, die Poesie dieses Augenblicks zu zerstören?“ Er warf ihr einen finsteren Blick zu. „Meine Sonette sind berühmt, müsst Ihr wissen.“
„Tatsächlich?“
„Heiter, geistreich oder romantisch, je nachdem, was die Situation verlangt.“
„Ich werde es mir merken, für den Fall, dass ich jemals ein paar Reime benötige“, erwiderte Temperance.
„Ausgezeichnet. Würdet Ihr vielleicht ein Sonett, das Eure schönen Augen besingt, gegen ein Stück dieses beinahe ebenso schönen blauen Tuchs annehmen?“
„Nein.“
Jack legte eine Hand ans Herz und setzte eine schmerzgepeinigte Miene auf. „In Geschäftsdingen seid Ihr hart, Mistress Temperance.“
„Mit schönen Worten kann ich mir keine Kohlen kaufen“, sagte sie.
„Habt Ihr es je versucht? Der Kohlenhändler könnte eine Schwäche haben für Kornblumenblau.“
„Das glaube ich nicht. Er – Ihr redet Unsinn!“ Sie nahm sich zusammen.
Er lächelte, und Temperance fühlte Schmetterlinge in ihrem Bauch. Sein Lächeln wirkte so ganz anders als sein Grinsen. Es zeigte eine sanftere, ruhigere Seite seiner Persönlichkeit und weckte in ihr weitaus ernsthaftere Gefühle.
„Wie lange seid Ihr hier schon die Herrin?“, fragte er.
„Mein Vater starb vor fast zwei Jahren“, erwiderte sie.
„Während der Pest? Eine schwierige Zeit, um solch eine Verantwortung zu übernehmen.“
„Ja.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, und ihre Augen blickten ins Leere, als sie an jene Zeit zurückdachte.
„Wart Ihr damals hier?“ Neugierig sah sie ihn an.
Er schüttelte den Kopf.
„Venedig?“, fragte sie und dachte an seine Bemerkung während der letzten Nacht. Außerdem wollte sie die Stimmung aufheitern. „Oder an einem anderen exotischen Ort?“
„Im letzten Jahr war ich sehr träge. Ich war in Brügge. In Oxford. Aber die meiste Zeit über blieb ich in Sussex.“
„Oxford? Der König und sein Hof waren in Oxford, um der Pest zu entkommen.“
„Das ist richtig“, räumte Jack mit einem schiefen Lächeln ein.
„Ihr – habt Ihr je für den König gespielt?“, fragte Temperance und wartete mit angehaltenem Atem auf die Antwort. Bestimmt würde er sie auslachen, weil sie eine so dumme Frage gestellt hatte. Aber er war ein so guter Musikant, dass sie sich mühelos vorstellen konnte, wie er Könige und Königinnen unterhielt.
Jack grinste.
„Was soll das jetzt heißen?“, wollte sie wissen.
„Der König weiß meine Sonette mehr zu schätzen als Ihr“, erwiderte er. „Die geistreichen vor allem. Besonders gut gefiel ihm eines, das ich komponierte über eine Lady und ihren …“
„Lasst nur“, unterbrach ihn Temperance, die fest davon überzeugt war, dass es sich um etwas Skandalöses handelte. „Habt Ihr wirklich mit dem König gesprochen? Oder wollt Ihr mich nur necken?“
Jack lächelte wieder. „Ich habe mit dem König gesprochen“, sagte er. „Und die Laute für ihn gespielt. Für Louis habe ich ebenfalls gespielt, auch wenn das schon einige Jahre her ist.“
„Louis? Den König von Frankreich?“ Temperance starrte ihn an. „Wir führen Krieg gegen Frankreich.“
„Als ich am französischen Hof war, taten wir das nicht“, entgegnete Jack. „Aber der Krieg war eine verfluchte Unannehmlichkeit, als ich diesen Sommer aus Venedig zurückkehrte. In Ostende blieb ich hängen und wartete darauf, dass das Fährschiff sich einem Konvoi anschloss.“
„Was habt Ihr dann getan?“ Sein Bericht faszinierte Temperance zum Teil, nur irgendwie war sie auch entsetzt. Sie konnte sich nichts Schrecklicheres vorstellen, als so weit weg von zu Hause zu stranden.
„Natürlich habe ich die Laute gespielt.“ Diesmal war sein Lächeln von reiner Boshaftigkeit durchsetzt.
„Konntet Ihr den Kapitän davon überzeugen, Euch für ein Sonett mitzunehmen?“, fragte sie.
„Nein. Es waren die Frauen von
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