Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Braut des Vagabunden

Die Braut des Vagabunden

Titel: Die Braut des Vagabunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: CLAIRE THORNTON
Vom Netzwerk:
Atem. Sein schwarzes Haar war eng an den Kopf gepresst. Jetzt gab es nichts, das seine kantigen Züge umschmeichelte oder den raubtierhaften Schnitt seiner Nase. Seine dunklen Augen funkelten vor Ungeduld. Er wirkte stark und gefährlich. Ein harter Mann, der zu unvorstellbaren Taten fähig sein konnte. Ihr erster Gedanke war, einen Schritt weit zurückzuweichen, aber sie wollte vor ihm keine Schwäche zeigen. Warum hatte sie es zugelassen, den ersten Eindruck zu vergessen, den sie von ihm gehabt hatte? Er war ein Vagabund.
    Dann begann er zu lachen. „Ihr würdet die Geduld eines Heiligen auf die Probe stellen, Madam Tempest. Und der Himmel weiß, dass ich kein Heiliger bin. Lasst uns bei diesem Thema einen Waffenstillstand schließen.“
    „Wie – wie Ihr wollt.“ Temperance fühlte, wie ihre Hände zitterten, als sie sich abwandte, um das Tuch für ihn fertig zusammenzulegen. „Wo ist Euer Cousin jetzt?“, fragte sie über die Schulter hinweg.
    Er zuckte die Achseln. „Irgendwo zwischen London und Dover, schätze ich.“
    „Ihr habt ihn zurückgelassen?“, rief Temperance aus.
    Jack grinste. „Ich war in Eile. In dem Gasthaus gab es nur ein einziges gutes Reitpferd, daher nahm ich es. Es war sein Fehler, dass er einen Spaziergang in die Stadt unternahm.“
    „Ihr habt ihn im Stich gelassen, nachdem er Eure Passage über den Kanal bezahlt hatte?“ Temperance vergaß ihren Entschluss, nicht wieder in einen Streit mit Jack verwickelt zu werden. „Wie konntet Ihr ihm seine Freundlichkeit so schlecht vergelten?“
    Jack zog die Brauen hoch und sah sie an. „Ich nahm auch seine Kleidung“, sagte er und warf einen missbilligenden Blick nach unten, auf den olivfarbenen Überrock, den er trug. „Ihr glaubt doch nicht, dass ich normalerweise etwas so Scheußliches tragen würde? Als ich in Dover ankam, waren von meiner eigenen Kleidung jedoch nur Lumpen übrig.“
    „Ihr habt gestohlen …“ Temperance schlug sich die Hand vor den Mund. Einen Mann mitten auf einer der geschäftigsten Straßen Londons als Dieb zu bezeichnen war eine sichere Methode, unerwünschte Aufmerksamkeit auf sie zu lenken.
    „Wie konntet Ihr so undankbar sein?“, fragte sie wütend und schleuderte ihm das Stoffpaket gegen die Brust. „Rücksichtslos! Habt Ihr kein Gewissen? Was wollt Ihr machen, wenn er Euch einholt?“, fragte sie. „Er wird Euch alles wegnehmen – oder Schlimmeres.“
    „Nein, das wird er nicht“, sagte Jack. „Und wenn er das tut, dann bedeutete das nur einen Verwandten weniger, um den ich mich sorgen muss.“
    „Dem Ihr Sorgen bereitet, meint Ihr wohl.“ Temperance strich sich das Haar aus dem erhitzten Gesicht. „Wenn Ihr nicht aufpasst, werdet Ihr in Tyburn enden.“
    „Würdet Ihr kommen und mir Lebewohl sagen?“
    Temperance warf ihm einen Seitenblick zu und war auf sich selbst wütend, weil es ihr nicht egal war, was mit ihm geschah. Allein die Vorstellung, er könnte die Schlinge des Henkers um den Hals tragen, erfüllte sie mit Abscheu.
    „Unsinn“, murmelte sie. Sie kannte ihn noch nicht einmal einen Tag lang, und die ganze Zeit über hatte er sie verwirrt. Abgesehen davon, dass er sie vor Tredgold beschützt und dafür gesorgt hatte, dass ihr das Leinen und der Musselin bezahlt wurde. Aber darüber hinaus …
    „Wie bitte?“, fragte er.
    „Dummkopf.“ Sie drehte sich zu ihm um. „Dummkopf. Dummkopf. Dummkopf! Geht und spielt Eure Halunkenstreiche jemand anderem.“
    Er lächelte. „Ich habe Euch überhaupt keine Streiche gespielt, meine Schöne“, sagte er. „Aber wenn es Euch lieber ist, dass ich gehe, das lässt sich leicht einrichten. Gebt mir einen Augenblick Zeit, mich zurechtzumachen.“
    Vor Temperances empörten Blicken setzte er wieder die Perücke auf und zupfte die Locken auf seinen Schultern zurecht. Der Gegensatz zwischen seinen raubvogelhaften Zügen und den langen schwarzen Locken, die sein Gesicht umrahmten, war betörend.
    „Lebt wohl, Madam Tempest.“ Er verbeugte sich und ging davon.
    Temperance sah ihm nach, dann sank sie auf einen Stuhl. Er war fort. Sie hätte sich erleichtert fühlen sollen. Stattdessen fühlte sie sich wie ausgehöhlt. Enttäuscht. Er war gegangen. Und obwohl er ein Schurke der allerersten Güte war, so hatte der Tag doch mit ihm auch all seinen Glanz verloren.
    Covent Garden. Sonntag, 2. September 1666
    Jack erwachte von dem Duft nach Kaffee und von leisen Geräuschen aus der Kaffeestube im Erdgeschoss. Er stieg aus dem Bett und streckte

Weitere Kostenlose Bücher