Die Braut des Vagabunden
„Sagt Eurem Herrn, er soll Manieren lernen“, schloss sie mit fester Stimme, obwohl ihr Herz unangenehm schnell schlug.
Sie war nicht sicher, was als Nächstes geschehen wäre, aber zu ihrer Erleichterung erschien Fannys Ehemann auf der Straße zusammen mit zwei der Lehrjungen und seinen Trinkkumpanen. Temperance fand, dass er gern etwas früher hätte kommen können, aber wenigstens hatte sein Erscheinen den gewünschten Effekt.
„Bringt Euren Fall, so schnell Ihr könnt, vor das Brandgericht“, sagte Temperance, sobald Windle außer Sichtweite war. Sie sah, wie sehr Agnes zitterte, und ergriff ihre Hand. „Ich verlasse London“, fügte sie noch hinzu. „Es tut mir leid, ich muss sofort aufbrechen. Ich bin nur gekommen, um mich zu verabschieden.“
„Verlassen?“ Entsetzt sah die alte Frau sie an. „Ihr habt London in Eurem ganzen Leben nicht verlassen.“
„Doch nun tue ich es. Ich muss Isaac finden und alles vorbereiten. Ich bin sicher, dass es Euch gut gehen wird. Vergesst nicht, geht zu Daniel Munckton und bringt ihn dazu, Euren Fall vor das Brandgericht zu bringen, und zwar so schnell Ihr könnt. Übermittelt Fanny meine besten Wünsche und sagt ihr, es täte mir leid, nicht warten zu können, bis ich mit ihr sprechen kann.“
Temperance eilte davon, ehe die alte Frau anfing, ihr Fragen zu stellen, die sie nicht beantworten konnte. Vor zwei Monaten noch hatte sie geglaubt, nur Jacks Ring als Erinnerung an ihn zu haben. Jetzt wusste sie, dass das nicht stimmte. Sie hatte auch sein ungeborenes Kind. Und ihre Situation war nicht mehr schwierig, sie war verzweifelt.
Jetzt war sie beinahe mittellos – und für eine arme ledige Mutter war es schwer. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich am Pranger wiederfinden oder öffentlich ausgepeitscht werden, und in London gab es niemanden, an den sie sich um Hilfe wenden könnte. Munckton war ein aufrechter Mann, aber von puritanischer Moral. Er war einer der Zeugen, der geschworen hatte, dass sie eine keusche Jungfrau war, ehe man sie in die Tuchhändlergilde aufgenommen hatte. Er würde für ihre Bitte weder Mitleid noch Verständnis aufbringen.
Ihr blieb keine Wahl. Sie musste London verlassen.
„Hat sie nicht wenigstens gesagt, wohin sie gehen will?“, fragte Fanny.
„Nein. Sie sagte nur, dass sie gehen wird, und dann war sie weg“, erwiderte Agnes. „Ich nenne das selbstsüchtig. Jetzt muss ich zu Munckton gehen, damit er mir vor dem Brandgericht hilft.“
„Oh, sei still. Ohne sie wärest du tot“, sagte Fanny. „Für sie ist ein Brief eingetroffen. Ich wollte ihn ihr geben, wenn ich sie das nächste Mal sehe. Wie soll ich ihn ihr nachschicken, wenn ich nicht weiß, wo sie ist?“
Agnes zuckte die Achseln. „Es schien mir nicht wichtig“, sagte sie. „Von wem sollte sie Briefe bekommen? Ihre ganze Familie ist tot.“
Kilverdale Hall, Sussex, 19. November 1666
„Ihre Gnaden wird Euch jetzt empfangen“, sagte der sehr vornehme Majordomus.
„Danke. Aber ich verstehe nicht …“ Temperance war verwirrt durch die Art und Weise, wie man sie und Isaac seit ihrer Ankunft behandelt hatte, und sie hatte beileibe nicht damit gerechnet, der Duchess vorgestellt zu werden.
„Kommt mit“, fuhr der Majordomus fort. „Der Junge kann hier warten.“
Temperance hatte vor dem Dienstboteneingang gestanden. Jetzt folgte sie dem Diener in den Hauptteil des Hauses und eine breite Treppe hinauf. Verwundert betrachtete sie die reichen Schnitzereien und sah dann hinauf zu der hohen Decke. Das Haus der Tuchhändlergilde war ein schönes Gebäude gewesen, aber in ihrem Alltag waren Treppen eng und schlecht beleuchtet. Hier gab es auf dem ersten Absatz ein großes Fenster, von dem aus man den Hirschpark sehen konnte, und an der Wand ein großes Gemälde mit halb bekleideten Menschen. Ihre Schritte wurden langsamer, als sie das Bild betrachtete. Dann bemerkte sie, dass der Majordomus stehen geblieben war, um auf sie zu warten.
Sie errötete und murmelte eine Entschuldigung, bevor sie ihm nacheilte. Der Diener ging eine lange, breite Galerie entlang. Auf einer Seite war die Wand in regelmäßigen Abständen von hohen Fenstern durchbrochen, die vom Fußboden bis zur Decke reichten. Cheapside war davon durch Welten getrennt. Die Umgebung verunsicherte Temperance so sehr, dass sie, als sie den Salon der Duchess betrat, das Gefühl hatte, ein ganzer Schwarm von Londoner Spatzen würde in ihrem Bauch rumoren.
Die Duchess saß neben einem Fenster. Sie trug
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