Die Braut des Vagabunden
ihren Arm und zog sie zur nächsten Bank. „Mr. Bundle selbst hat es mir gesagt. Hier.“ Er machte eine Kopfbewegung. „Setzt Euch.“
Temperance ließ sich auf die Bank sinken. Sie fühlte sich wie betäubt. Jack konnte nicht tot sein. Sie sah zu dem Jungen auf und bemerkte, wie er sich mit dem Handrücken über die Wange wischte. Sein Kummer war unübersehbar. Schmerz durchzuckte sie und ließ sie das Unfassbare glauben.
„Wie?“, fragte sie mit rauer Stimme.
„Es war ein Degengefecht.“
„Degen.“ Temperance dachte daran, wie geschickt Jack seinen Degen angelegt hatte. Sie hatte geglaubt, er könnte damit ebenso gewandt umgehen wie mit seiner Laute. „Wie kann jemand ihn in einem Degengefecht getötet haben? War es eine Übermacht?“
„Ich weiß es nicht, Mistress. Ein fairer Kampf kann es nicht gewesen sein. Mr. Bow war zu gut, aber Mr. Bundle hat mir nicht erzählt, was genau geschehen ist. Nur – nur, dass Mr. Bow tot ist.“
„Was hat Mr. Bundle dir erzählt?“
„Es war, als ich ihn fragte, wann Mr. Bow zurückkommt. Er sagte …“, der Junge blickte ins Leere, während er versuchte, sich auf die Worte seines Herrn zu besinnen, „… er sagte, Jack Bow ist tot, Junge.“ Er hielt inne und schluckte. „Dann – dann schickte er mich los, einen anderen Gast zu bedienen.“
Auf der Bank schaukelte Temperance vor und zurück, während ihr die Endgültigkeit dieser Neuigkeit dämmerte. Jack war tot. Tot. Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf. Sie erhob sich und wandte sich wie blind der Tür zu.
„Mistress?“
Sie bemerkte den besorgten Ausdruck im Gesicht des Jungen. „Danke, dass du es mir so – so freundlich beigebracht hast“, sagte sie. Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren fremd. „Auf Wiedersehen.“
Sie eilte aus dem Kaffeehaus, ehe er sie zurückrufen konnte oder ihr Fragen stellte. Draußen stolperte sie durch die Straßen.
Sobald sie begann, ihre Umgebung wieder wahrzunehmen, stellte sie fest, dass sie in den Ruinen ihres Ladens stand. Nur der Schornstein und die rußgeschwärzte Feuerstelle waren von ihrem Heim noch übrig. Von ihrem Standpunkt aus konnte sie bis zur Themse hinuntersehen und in die andere Richtung bis zu den Gebäuden von Southwark. Das Feuer hatte aus der Stadt ein verstörendes Gebilde aus Trümmern, Asche und gebrochenen Kaminen gemacht.
Temperance schlang sich die Arme um die Taille und versuchte erneut, Jacks Tod zu begreifen. Sie hatte ihn nur kurze Zeit gekannt, aber an ihrer tiefen Trauer erkannte sie, wie wichtig er ihr gewesen war. Wie sehr sie sich darauf verlassen hatte, dass er zu ihr zurückkehren würde. Sie hätte alles dafür gegeben, wenn er jetzt neben ihr stände, sie neckte und mit ihr stritt. Aber sie war wieder allein.
Sie holte tief Luft und straffte die Schultern. Sie war auch zuvor allein gewesen, und sie hatte es überlebt. Irgendwie würde sie einen Weg finden, den Platz zu säubern, an dem ihr Laden gestanden hatte, ihn wiederaufbauen und die Geschäfte wieder aufnehmen.
Southwark, 17. November 1666
„Lasst mich in Ruhe, Halunke!“
Temperance hatte das Haus von Fanny Berridge beinahe erreicht, als sie Agnes vor der Tür stehen sah, neben ihr zwei riesenhafte Männer. In einem von ihnen erkannte Temperance den Mieteintreiber von Agnes’ altem Haus. Sie begann zu laufen.
„Lasst sie in Ruhe!“ Sie drängte sich zwischen Agnes und die Männer. Dies war eine der Gelegenheiten, in denen sie froh war über ihre Größe. Sie starrte hinab auf den Mieteintreiber und versuchte, ihn so weit einzuschüchtern, dass er sich zurückzog.
„Ihr habt hier nichts zu tun!“, sagte sie. „Als Robert Hubert letzten Monat schuldig gesprochen wurde, das Feuer entzündet zu haben, wurde das Feuer zu einem Kriegsakt. Das bedeutet, Lord Windle ist verantwortlich für sein Eigentum – genau wie alle anderen Hauswirte in London. Glaubt er, wir würden die Gesetze nicht kennen?“
„Das ist nicht mein Problem“, sagte der Mieteintreiber. „Ich bin hier auf Befehl des Wirts. Wenn die Witwe Cruikshank weiß, was gut für sie ist, wird sie ihre Miete zahlen“, fügte er unfreundlich hinzu.
„Nein. Sie wird ihren Fall vor das Brandgericht bringen“, gab Temperance zurück. „Zweifellos werden die Richter zu ihren Gunsten entscheiden. Und jetzt geht und sagt Lord Windle …“ Sie sah, wie der Mieteintreiber einen Blick über die Schulter zurückwarf, und begriff plötzlich, dass Lord Windle selbst ihre Begegnung beobachtete.
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