Die Braut des Wuestenprinzen
vertraut vor. Diese mächtigen Mauern, die ihre Schatten auf die vorüberlaufenden Menschen warfen, die Gitterfenster, die kunstvollen Mosaike, die Springbrunnen – all das war wie im Bilderbuch. Schließlich erkannte Elenor, um welches Buch es sich handelte. Was sie hier sah, erinnerte sie an die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht. Die Geschichten stammten aus dem alten Perserreich, zu dem damals, vor zweitausend Jahren, auch dieses kleine Königreich gehört hatte.
Elenor dachte daran, wie die kluge Scheherazade ihr eigenes Leben gerettet hatte, indem sie dem Sultan tausendundeine Nächte lang spannende Geschichten erzählt hatte, deren Ende bei Sonnenaufgang stets noch nicht erzählt war. Mit einem leichten Schaudern sah sie Karim an und fragte sich, was sie tun könnte, falls ihr Leben hinter diesen Mauern in Gefahr geraten sollte.
8. KAPITEL
Sie kamen nur langsam voran. Wie eine böse Vorahnung senkte sich die Nacht während des Abstiegs über sie. Der gegenüberliegende Hang erleuchtete noch im Sonnenlicht, während es um sie herum bereits dämmerte.
Nach dem Marsch durch die Wüste war es eine Wohltat, wieder Gras unter den Füßen zu spüren. Die Pferde schüttelten sich und schnaubten, erleichtert, endlich von der Last der Reiter befreit zu sein.
Lange, bevor sie dieTalsohle erreichten, erblickte Elenor das Lager – ihr nächstes Ziel. Es bestand aus den typischen parvanischen Zelten.
„Was hast du in dem Lager vor?“, fragte sie Karim.
„Jagen“, antwortete er.
Vor Erstaunen fiel ihr keine Antwort ein.
Bei den Zelten warteten Jungen, die ihnen die Pferde abnahmen. Karim schritt auf das Zelt mit der Flagge zu, ohne sich nach Elenor umzusehen. Selbstverständlich hatte sie ihm zu folgen; besäße sie ein eigenes Zelt, so hätte er ihr das bereits gesagt.
Das Zelt war weniger luxuriös hergerichtet, als sie es in Erinnerung hatte. Wahrscheinlich diente das Lager nicht Vergnügungen, sondern eher Arbeit. Wie üblich war das Zeltinnere in zwei Räume unterteilt, von denen einer mit Teppichen, Decken und Kissen ausgelegt war, die als Bett dienten. Hinter einem Vorhang stand eine Badewanne.
In dem anderen Raum gab es einen Schreibtisch und einen Stuhl in einer Ecke und in der Mitte des Raums einen von Kissen umgebenen, flachen Tisch. Den Grasboden bedeckten Teppiche, und an den Zeltwänden hingen kostbare Tücher.
Erst jetzt merkte Elenor, wie erschöpft sie war. Abwesend stand sie da und sah zu, wie sich Karim die Wüstenkleider abstreifte und schließlich in weiten, weißen Hosen und einem locker geschnittenen Hemd dastand. Er griff nach der dunklen Weste, die über einer Stuhllehne hing, und zog sie sich an.
Das war der Karim, den sie kannte, der Mann, den sie geheiratet hatte. Ihr Herz begann heftig zu schlagen. „Karim“, flüsterte sie unwillkürlich.
Teilnahmslos blickte er sie an. Was immer sie hatte sagen wollen, erstarb auf ihren Lippen.
„Du hast deinen Bart abrasiert“, bemerkte sie stattdessen. Erst jetzt fiel ihr diese Veränderung auf.
„Ich musste mich als Kaljuke tarnen“, erwiderte er.
„Um … um mich zu holen?“
„Nicht nur.“ Karim bückte sich nach einem Patronengürtel.
Wie sehr er sich doch verändert hatte! Seine Wangen waren schmaler, fast schon eingefallen, die Züge härter, der Blick finsterer.
„Wo gehst du hin?“, fragte Elenor.
Er schlang sich den Patronengürtel um und griff nach einer Waffe, die an der Zeltwand lehnte. „Ich muss die Gegend auskundschaften. Wir waren zwei Tage nicht hier. Das ist zu lange. Hier gibt es eine Frau, die angewiesen wurde, sich um dich zu kümmern. Geh zu ihr. Sie wird dir ein Bad bereiten und dir frische Kleidung geben. Danach solltest du dich ein wenig ausruhen. Morgen reiten wir weiter.“ Damit verließ Karim das Zelt, und Elenor war allein.
Merkwürdigerweise war es das erste Zusammentreffen mit Karims Vater gewesen, das sie beruhigt hatte, als sie vor vier Jahren in Parvan angekommen war. Scheich Kavad Panj war so freundlich, so rechtschaffen, so großzügig und ehrlich, dass es gar nicht anders sein konnte, als dass er all diese Eigenschaften an seinen Sohn weitergegeben hatte.
Elenor mochte ihn vom ersten Moment an. Er war humorvoll, intelligent und charmant. Und sie schien auch ihm zu gefallen. Er begrüßte sie als seine Tochter, als rechtmäßige Braut seines Erben. In seiner Gegenwart verspürte Elenor Zuversicht, die Zukunft mit Karim meistern zu können.
Im Palast lebte noch eine weitere enge
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