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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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gemacht.»
    «Ja. Wir wollen mit den Rädern raus.»
    «Und ihre Eltern?»
    «Was ist mit ihren Eltern?»
    «Was sagen sie dazu, dass ihre Tochter mit einem Jungen aus dem Gallus zusammen ist?»
    «Opa, bitte!»
    «Sie wissen es nicht, oder?»
    Tobi sah ihn an und schwieg.
    «Hab ich’s mir doch gedacht», sagte der Großvater. «Sie dürfen es nicht einmal wissen.»
    «Soll ich dich noch rasieren?», fragte der Junge. «Du bist schon wieder ganz stachelig.»
    Der Alte schüttelte den Kopf. «Nein. Fahr nur. Aber pass auf dich auf.»
    «Das sagst du auch immer.»
    «Ja. Alte Männer sagen immer dasselbe.»
    Tobi ging zum Kopfende des Bettes, beugte sich herunter und küsste seinen Großvater auf die Stirn. «Brauchst du noch etwas?», fragte er.
    «Nein. Nun geh schon, geh. Hast du denn schon was gegessen?»
    «Ich hab uns was eingepackt. Wir machen Picknick.» Tobi warf seinen Rucksack über die Schulter, der bereits gepackt neben dem Eingang gestanden hatte. Leise zog er die Tür hinter sich ins Schloss, dann stürmte er die Treppe hinunter.
    Er schloss die Kellertür auf und trug sein Fahrrad hinaus in den Hof.
    Er hatte das ganze letzte Jahr Werbezettel für eine Supermarktkette ausgetragen und sich von seinem Großvater Geld zu Weihnachten gewünscht, um endlich das ersehnte Rennrad kaufen zu können. Immer wieder hatte er die Kleinanzeigen studiert, bis er auf das richtige Angebot gestoßen war. An einem kalten Januartag war er mit der S-Bahn nach Darmstadt gefahren, wo der Verkäufer wohnte.
    Tobi hatte sich das Rad lange angeschaut. Er hatte sich in den Sattel gesetzt und die Lenkerbreite geprüft. Es war ein rotes Stevens-Bike mit einem leichten, schön verschliffenen Aluminiumrahmen und einer teuren Carbongabel, und es sah aus, als sei noch nie jemand damit gefahren. Ob er keine Probefahrt machen wolle, hatte der Mann gefragt. Tobi hatte den Kopf geschüttelt. Ohne zu handeln, hatte er den verlangten Preis bezahlt, dann hatte er das Rad geschultert und war im Regen zurück zum Bahnhof gelaufen.
    Seitdem hatte er darauf gewartet, dass das Wetter besser wurde und er seine erste größere Tour machen konnte. Fast täglich war er nach der Schule in den Keller gegangen, um mit der Hand über das kühle Metall zu streichen und immer wieder aufs Neue mit einem weichen Lappen die ohnehin glänzenden Felgen zu polieren.
    Jetzt stand er im Hof, hatte eine Hand auf den Lenker gelegt und blinzelte in die Sonne. Ein wenig wunderte er sich darüber, dass die Kinder aus der Nachbarschaft nicht zusammenliefen, um sein neues Rad zu bestaunen. Er stieß einen kurzen Pfiff aus, aber keiner seiner Freunde zeigte sich. Im Block gegenüber trat eine dicke junge Frau ans offene Fenster und lächelte ihm zu. Endlich stieg er in den Sattel und fuhr los.
    Als er in Niederrad ankam, lehnte er das Rad vorsichtig gegen die Mauer, auf der er oft am Nachmittag saß, um auf Mara zu warten. Sie hatten sich am Ende des letzten Sommers im Schwimmbad kennen gelernt. Mara war von ein paar Typen geärgert worden, und Tobi hatte ihr angeboten, sie nach Hause zu begleiten. Seitdem war kaum ein Tag vergangen, an dem sie sich nicht getroffen hatten.
    Aber noch nie hatte er das Haus betreten, in dem sie lebte und das er schon so oft von außen gesehen hatte. Immer hatte er fünfzig Meter entfernt auf seiner Mauer gehockt,zum Fenster ihres Zimmers im ersten Stock geschaut und gewartet, dass sie kam. Sie wohnte mit ihren Eltern und dem jüngeren Bruder in einer großen Villa ganz in der Nähe des Stadtwaldes. Es gab einen riesigen gepflegten Garten mit alten Bäumen und, was Tobi am meisten beeindruckte, eine Garage, in der man den BMW ihrer Mutter und den Mercedes des Vaters nebeneinander parken konnte. Mara hatte ihn oft aufgefordert, hereinzukommen und ihre Eltern zu begrüßen, aber Tobi hatte immer abgelehnt. Genauso gut hätte sie ihn bitten können, mit ihr auf den Mond zu fliegen. Obwohl er neugierig war, hätte er viel zu viel Angst gehabt, sich falsch zu benehmen oder etwas Falsches zu sagen. Er hatte keine Vorstellung, wie man sich in einer solchen Umgebung bewegte. Zog man sich die Schuhe aus, wenn man das Haus betrat, oder behielt man sie an? Ging man einfach an den Kühlschrank, wenn man Hunger hatte, oder wartete man, bis der Tisch für alle gedeckt war? Musste man sich die Hände
vor
oder
nach
dem Essen waschen? Allein der Gedanke, Maras Eltern die Hand geben zu müssen, machte ihn befangen. Vielleicht wäre schon das ein Fehler,

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