Die Braut im Schnee
Kerstin Henschel.
«Nein, den Uniformierten. Ist das nicht dieser Typ aus dem 8. Revier?»
«Du hast Recht», sagte sie, «Toller, der Arsch. Kollege Rambo!»
Raimund Toller war ein Schutzpolizist aus Sachsenhausen, gegen den Marthaler vor Jahren ein Disziplinarverfahren beantragt hatte, das aber schließlich niedergeschlagen worden war. Toller hatte Marthaler gegenüber nach einem Einsatz zugegeben, dass er bereit gewesen wäre, einem Flüchtenden in den Rücken zu schießen. Später hatte er bestritten, je so etwas gesagt zu haben. Die internen Ermittlungen waren im Sande verlaufen. Obwohl es schon mehrfach Beschwerden über Toller gegeben hatte, hatten seine engsten Kollegen ihn gedeckt, und schließlich musste Marthaler klein beigeben, weil er nichts weiter gegen ihn in der Hand hatte.
Jetzt sah er, wie der Uniformierte den Chef der Mordkommission ansprach. Herrmann schien wenig begeistert über die Störung, hörte Toller aber offensichtlich mit steigender Aufmerksamkeit zu.
Kerstin Henschel hatte die Stirn gerunzelt. «Was haben die denn miteinander zu schaffen?»
«Das wüsste ich auch gern», sagte Marthaler, der jetzt sah, wie sein Chef sich vorsichtig umschaute. Offensichtlich war es ihm unangenehm, mit Toller gesehen zu werden. Schließlich nickte er und wedelte ärgerlich mit der Hand. Toller entferntesich langsam von Herrmanns Tisch und bewegte sich auf den Ausgang der Kantine zu. Marthaler hatte den Eindruck, dass er grinste.
«Egal», sagte Kerstin Henschel, «vielleicht haben die beiden ja dasselbe Hobby.»
Marthaler schaute sie fragend an. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Herrmann und Toller irgendetwas gemeinsam hatten.
Plötzlich kicherte sie wie eine Novizin. «Na ja, vielleicht sammeln sie beide Überraschungseier.»
Holger Assmann saß ihnen in dem kleinen Vernehmungszimmer gegenüber und schaute sie mit leeren Augen an. Sein schwerer Körper war in sich zusammengesunken. Der jungenhafte Eindruck, den er noch gestern auf Marthaler gemacht hatte, war verschwunden. Es wirkte, als sei der Mann, seit er den Leichnam seiner Verlobten identifiziert hatte, über Nacht um Jahre gealtert. Seine großen Hände zitterten, er hatte Ringe unter den Augen und sah müde aus.
«Ich nehme an, Sie haben nichts dagegen, wenn wir dieses Gespräch auf Band aufnehmen», sagte Marthaler. Holger Assmann schüttelte stumm den Kopf.
«Herr Assmann, es tut uns Leid, dass wir Sie noch einmal behelligen müssen. Wir wissen inzwischen, dass Sie nichts mit dem Tod Gabriele Haslers zu tun haben. Ihr Alibi ist uns heute Morgen bestätigt worden. Aber es gibt viele offene Fragen, und wir hoffen, dass Sie uns helfen können, denjenigen zu finden, der das getan hat.»
Marthaler redete, um zu reden. Aus Erfahrung wusste er, dass es in den ersten Minuten einer Vernehmung nicht darauf ankam,
was
man sagte, sondern
dass
man etwas sagte. Besonders schwierig war ein solches Gespräch, wenn es sich bei dem Zeugen um den Hinterbliebenen in einem Mordfall handelte.Der Schmerz und die Fassungslosigkeit waren oft so groß, dass die Ermittler keine brauchbaren Aussagen erhielten. Umso wichtiger war es, eine Atmosphäre zu schaffen, in welcher der Zeuge sich in seinem Kummer verstanden fühlte und bereit war, ihnen schnell die nötigen Informationen zu geben. Marthaler beschloss, Holger Assmann zunächst ein paar unverfängliche Fragen zu seiner Person zu stellen. «Sie wohnen in Köln. Ich nehme an, dort arbeiten Sie auch?»
Assmann nickte.
«Sie wohnen allein? In einem Haus oder in einer Wohnung?»
«In einem Haus. Ich habe eine Wohnung im Haus meiner Eltern.»
«Und was sind Sie von Beruf?»
«Sanitärtechniker.»
«Sind Sie angestellt oder selbständig?»
«Selbständig. Es war das Geschäft meines Vaters. Ich habe es übernommen.»
«Und läuft es gut? Ich meine, haben Sie viele Aufträge?»
Holger Assmann schaute Marthaler kurz an. Es war ihm anzumerken, dass er den Sinn der Befragung nicht verstand. «Gut, ja. Es läuft sehr gut. Ich habe vier Angestellte, und wir haben viel zu tun.»
Kerstin Henschel tippte mit dem Daumen auf die Tischplatte. Was wie eine unwillkürliche Geste aussah, war für Marthaler das Zeichen, dass sie die Vernehmung fortsetzen wollte. «Darf ich fragen, wie Sie Gabriele Hasler kennen gelernt haben?»
Allein der Name seiner Verlobten brachte den Mann erneut außer Fassung. Sein Oberkörper begann zu beben, und es sah so aus, als würde er im nächsten Augenblick anfangen zu
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