Die Braut im Schnee
weinen.
Kerstin Henschel sprach mit ruhiger Stimme auf ihn ein:«Herr Assmann, entschuldigen Sie bitte, aber wir müssen Sie ein paar sehr private Dinge fragen. Wir wissen so gut wie nichts über Ihre Verlobte. Sie müssen uns helfen. Sonst haben wir keine Chance, den Täter zu finden.»
Assmann hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und hielt beide Hände vors Gesicht. Sie sollten seine Tränen nicht sehen. «Über eine Agentur», sagte er schließlich. «Ich war bei einem Partnerschaftsinstitut. Sie haben eine Anzeige aufgegeben, und Gabi hat sich gemeldet.»
«Haben Sie diese Anzeige noch? Könnten Sie uns eine Kopie schicken?»
Zur Überraschung der beiden Polizisten zog Assmann seine Brieftasche hervor und entnahm ihr einen kleinen abgegriffenen Zeitungsausschnitt, den er Kerstin Henschel reichte:
Gut situierter Er, Mitte 30, zärtlich und treu, sucht nette Sie zum Verlieben und mehr. Wenn du kein Abenteuer willst, sondern Sehnsucht hast nach einem lieben Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht und dir eine sorgenfreie Zukunft bietet, dann melde dich bitte. Spätere Heirat erwünscht. Über ein Foto von dir würde ich mich freuen, ist aber keine Bedingung.
Als Kerstin Henschel den Text gelesen hatte, gab sie den Zettel an Marthaler weiter. «Sie wollten bald heiraten, nicht wahr?»
Assmann schien mit seiner Antwort zu zögern. «Ja», sagte er, «aber wir haben den Termin schon zweimal verschoben. Gabi hatte in letzter Zeit viel zu tun.»
«Erzählen Sie uns etwas über Gabriele Hasler. War sie humorvoll, war sie kontaktfreudig? Was wissen Sie über ihre Vergangenheit? Gab es Hobbys? Welche Freunde hatte sie?»
«Ich weiß nicht», sagte er.
Kerstin Henschel hob die Augenbrauen. Sie warf einen kurzen Seitenblick in Marthalers Richtung. «Sie wissen es nicht?»
Assmann sah auf den Tisch. Seine Fingerspitzen tippten gegeneinander. «Das war ein Problem», sagte er. «Ich weiß fast nichts über sie. Sie erzählte nichts. Sie sagte, jeder Mensch braucht seine Geheimnisse.»
«Aber es muss doch Namen von Freunden geben, von Verwandten. Sie müssen sich doch ab und zu mit jemandem getroffen haben.»
«Das wollte sie nicht. Sie wollte nicht ausgehen. Und sie wollte nicht über sich sprechen.»
«Sie wissen nichts über sie, aber Sie wollten sie heiraten?»
«Ja. Ich liebe sie.»
«Kann es sein, dass Gabriele Hasler Ihre erste Frau war?» Marthaler wusste, wie riskant eine solche Frage war, aber Kerstin Henschel hatte ins Schwarze getroffen. Assmann nickte.
«Sie hatten niemals zuvor eine Freundin?»
«Jedenfalls keine, mit der ich …»
«Keine, mit der Sie geschlafen haben.»
Er nickte wieder. Kerstin Henschel gab nicht zu erkennen, was sie von dieser Information hielt. Sie setzte die Befragung in einem betont sachlichen Ton fort. «Wie war das bei ihr?», fragte sie. «Hatte Ihre Verlobte mehr Erfahrungen?»
«Ich weiß nicht, ich war immer ein wenig nervös, wenn wir zusammen waren. Aber Gabi war … Sie war sehr geschickt.»
«Geschickt?»
«Sie konnte mich glücklich machen. Sie hat mir beigebracht, darüber zu reden, was ich mag.»
«Und Sie? Hatten Sie den Eindruck, dass Sie Gabriele Hasler ebenfalls glücklich machen konnten?» «Ich glaube, darauf kam es ihr nicht an.»
«Glauben Sie das wirklich? Glauben Sie wirklich, einer Frau kommt es nicht darauf an?»
Einen Moment lang schien Assmann über seine Antwortnachdenken zu müssen. «Ich weiß nicht», sagte er. «Aber bei ihr war es so.»
«Gefragt haben Sie sie nicht?»
Assmanns Ton wurde schärfer. «Doch, das habe ich. Und sie hat jedes Mal gesagt: Es ist alles gut.»
Kerstin Henschel ließ sich nicht irritieren. Sie setzte ihre Fragen in unvermindertem Tempo fort. «Wie oft haben Sie miteinander geschlafen?»
«Sooft ich wollte.»
«Sooft
Sie
wollten?»
«Ja. Sie hatte nie etwas dagegen. Aber sie hat es sich auch nicht gewünscht.»
«Nie?»
«Nein, nie.»
«Und das hat Sie nicht stutzig gemacht?»
«Doch. Es hat mich stutzig gemacht. Aber verstehen Sie denn nicht: Ich hatte Angst, sie zu verlieren, wenn ich sie danach frage und sie mir eine ehrliche Antwort gibt.»
«Nahmen Sie an, dass sie andere Männer hatte?»
Assmann zuckte mit den Schultern. Er wirkte resigniert. Es war deutlich, dass ihn diese Frage beschäftigt hatte.
Kerstin Henschel setzte noch einmal nach: «Gab es ungewöhnliche Dinge, die Sie miteinander gemacht haben, ich meine ausgefallene Praktiken?»
Assmann verneinte.
«Mögen Sie
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