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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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ließ sich mit seiner Antwort Zeit. Er machte sich ein paar Notizen, dann räumte er mit einer resignierten Geste seine Papiere zusammen, schraubte die Kappe auf seinen Füller und legte ihn auf den Tisch. «Ich kannte sie, wie ein Professor seine Studentinnen eben kennt.»
    Du lügst, dachte Marthaler im selben Moment. Du lügst und du weißt, dass ich dir nicht glaube. Trotzdem behauptest du das, weil ich dir das Gegenteil nicht beweisen kann.
    «Warum geben Sie mir eine Fernsehantwort?», fragte er. «So reden die Leute in den Kriminalfilmen, wenn sie von der Polizei befragt werden. Ich weiß nicht, wie gut ein Professor seine Studentinnen kennt. Sagen Sie es mir!»
    Wagenknecht lehnte sich zurück und verschränkte seine Arme. Er lächelte. «Ich besitze keinen Fernseher, Herr Kommissar.»
    Marthaler hatte Mühe, ruhig zu bleiben. Er merkte, wie sein Ton schärfer wurde. «Beantworten Sie endlich meine Frage! Herr Professor!»
    «Gabriele Hasler hat meine Seminare und Vorlesungen besucht. Sie hat bei mir Referate gehalten und Arbeiten geschrieben. Zwei- oder dreimal war sie dabei, als ich mit einer Gruppe Studenten abends beim Apfelwein war. Und einmal habe ich ein teures Buch ersetzt, das sie aus der Institutsbibliothek ausgeliehen und verloren hatte.»
    «Das ist alles? Sie haben keine Vorstellung, wer sie umgebracht haben könnte?»
    «Nein. Wie gesagt: Ich schaue keine Krimis.»
    Marthaler merkte, dass er nicht weiterkam. Er beschloss, das Thema zu wechseln, hatte aber wenig Hoffnung, diesmal eine zufrieden stellende Antwort zu erhalten.
    «Wir wissen, dass Frau Hasler eine enge Freundin hatte, mit der sie zusammengewohnt und studiert hat. Können Sie sich an diese Freundin erinnern?»
    «Ja, natürlich. Sie heißt Stefanie Wolfram. Eine überaus begabte Medizinerin. Ich habe mich noch vor einem halben Jahr mit ihr während eines Kongresses getroffen, weil ich sie überreden wollte, eine frei gewordene Stelle im Carolinum zu übernehmen.»
    Marthaler atmete durch. «Und Sie wissen, wo ich Frau Wolfram finde?»
    «Kein Problem. Fragen Sie in meinem Sekretariat nach. Dort kann man Ihnen die Adresse geben. Wenn ich mich recht erinnere, lebt sie inzwischen in Darmstadt.»
    «Sie wollte die Stelle nicht, die Sie ihr angeboten haben?»
    «Nein, es ist wirklich ein Jammer. Sie war schon immer ein wenig kapriziös. Sie interessierte sich für allzu viele Dinge. Ich weiß nicht, was sie vorhatte. Sie wollte nicht darüber reden. Sie sagte nur, sie habe andere Pläne.»
    Marthaler nickte. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, einen Faden in der Hand zu halten, der nicht zwei lose Enden hatte.

DREIZEHN
    Der Feierabendverkehr hatte bereits eingesetzt. Wie an jedem Werktag verließen Hunderttausende Pendler die Stadt, um in ihre Heimatorte zu fahren. Alle Ausfallstraßen waren verstopft. Marthaler kam nur langsam voran. Er schaltete das Radio ein und freute sich, als der Moderator Dvořáks Sinfonie «Aus der Neuen Welt» unter Nikolaus Harnoncourt ankündigte. Nach einer halben Stunde hatte er das Frankfurter Kreuz endlich hinter sich gelassen. Die Felder und Wiesen, die sich beiderseits der Autobahn erstreckten, waren schneebedeckt. Ab und zu sah man auf einem Baum in der Nähe der Fahrbahn einen Greifvogel sitzen, der auf Beute wartete.
    Vom «Fliegenden Fuchs» war er zurück ins Carolinum gegangen und hatte sich in Professor Wagenknechts Sekretariat Adresse und Telefonnummer von Stefanie Wolfram geben lassen. Er hatte sofort versucht, sie anzurufen, um ihr seinen Besuch anzukündigen, aber es hatte niemand abgenommen.
    An der Raststätte «Gräfenhausen» bog Marthaler von der A 5 ab und fuhr auf den Parkplatz. Er nahm den Rhein-Main-Atlas aus dem Handschuhfach und versuchte, sich zu orientieren. Die Straße, in der Stefanie Wolfram wohnte, lag im Darmstädter Stadtteil Kranichstein. Er würde eine weitere halbe Stunde brauchen, um dorthin zu gelangen. Weil er noch einmal versuchen wollte, Gabriele Haslers Freundin zu erreichen, ging er in das Rasthaus, um von dort aus zu telefonieren. Er wählte die Nummer und wartete. Es meldete sich niemand. Als er bereits aufgeben wollte, wurde auf deranderen Seite der Hörer doch noch abgenommen. Es dauerte eine Weile, bis er endlich die leise Stimme einer Frau hörte.
    «Hallo?»
    Marthaler war irritiert von der zögerlichen Art, mit der die Frau sich meldete. «Entschuldigen Sie, wenn ich störe», sagte er. «Sie kennen mich nicht. Mein Name ist Marthaler. Ich bin

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