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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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schien es, als wolle der Kleine im nächstenMoment handgreiflich werden. Unwillkürlich musste Marthaler lächeln. Dann hob er seinen Zeigefinger.
    «Morchel, achten Sie auf Ihren Blutdruck», sagte er.
    Der Dicke starrte Marthaler an. Ein paarmal öffnete und schloss sich sein Mund. Endlich schien er ihn zu erkennen. «Robert. Robert Marthaler. Du bist aber auch wirklich der Letzte, der mich noch Morchel nennen darf. Jetzt sag bloß nicht, dass
du
der Frankfurter Kollege bist, der uns diese Suppe hier eingebrockt hat?»
    «So würde ich es nicht ausdrücken», erwiderte Marthaler. Dann reichte er dem anderen die Hand.
    Er war Konrad Morell vor Jahren auf einem Fortbildungsseminar begegnet, das in der Mühlheimer Verwaltungsschule stattgefunden hatte. Schon am ersten Abend hatte man dem Darmstädter Kollegen seinen Spitznamen verpasst, und bald wurde er selbst von den Dozenten nur noch Morchel genannt. Als Morell während einer hitzigen Diskussion sein cholerisches Temperament demonstrierte und mit der Faust auf den Tisch schlug, hatte der Seminarleiter seinen Zeigefinger erhoben und ihn zur Erheiterung der anderen Teilnehmer mit ebenjenen Worten ermahnt: «Morchel, achten Sie auf Ihren Blutdruck!»
    Marthaler hatte den um ein paar Jahre jüngeren Kollegen von Anfang an gemocht. Morell stammte aus einem kleinen Odenwälder Dorf und war nach der Scheidung seiner Eltern bei einer älteren Tante aufgewachsen. Bis heute hatte er den harten Dialekt seiner Gegend beibehalten. Trotz seiner Dickleibigkeit war Konrad Morell ungewöhnlich flink. Und was Marthaler vor allem an ihm schätzte, war seine Offenheit und die Aufmerksamkeit, mit der er alles und jeden bedachte. Er erinnerte sich an einen langen Spaziergang, den sie beide einmal über Mittag in die Dietesheimer Steinbrüche gemacht hatten. Morell hatte erzählt, wie er als Kind immer wiedernachts aus der Wohnung der Tante ausgerissen und in sein leeres Elternhaus gegangen war. Dort habe er sich ins Ehebett gelegt, oft stundenlang an die Decke gestarrt und darauf gewartet, dass Vater und Mutter wiederkommen würden. Und während dieser Erzählung hatte Morell mehrmals kurz innegehalten, um Marthaler auf das Klopfen eines Spechtes, auf eine seltene Pflanze oder auf ein besonders schönes Insekt hinzuweisen. Nichts schien zu klein oder unbedeutend, als dass es seiner Zuwendung nicht wert gewesen wäre.
    «Sondern?», fragte Morell jetzt, «wie würdest du es denn ausdrücken? Willst du dir mal anschauen, wie es dadrinnen aussieht?»
    «Nein, bitte   …», sagte Marthaler. «Erspar mir das.»
    «Dann lass uns ein paar Schritte laufen. Und du wirst mir berichten, was hier eigentlich los ist.»
    Als sie das Haus verließen und die Straße betraten, stellte sich ihnen ein Mann in den Weg. Marthaler erkannte ihn. Es war der Dackelbesitzer.
    «Darf man erfahren, was hier los ist?», fragte er.
    Reflexartig wollte Marthaler die Neugier des Fremden zurückweisen, aber Konrad Morell kam ihm zuvor.
    «Wer sind Sie?», fragte er.
    «Ich bin ein Nachbar, ich wohne hier.» Der Mann deutete mit dem Kopf auf das Haus, vor dem Marthaler seinen Wagen abgestellt hatte.
    «Kannten Sie Frau Wolfram?»
    «Natürlich kenne ich sie. Meine Frau und ich spielen gelegentlich mit ihr Karten. Wieso fragen Sie, ob ich sie
kannte
? Das hört sich ja an, als sei sie tot.»
    «Sie ist tot. Sie wurde umgebracht», sagte Morell.
    Der Mann lachte und schüttelte den Kopf. Die beiden Polizisten schauten ihn aufmerksam an.
    «Nein», sagte er. «Das kann nicht sein.»
    «So ist es aber.»
    «Hören Sie, Stefanie Wolfram ist seit anderthalb Monaten auf Reisen. Wenn in ihrem Haus jemand ermordet wurde, dann kann es sich nur um die junge Dame handeln, die dort vorübergehend wohnt.»
    Morell sah Marthaler fragend an. Der schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass er keine Ahnung hatte, was diese Information bedeutete. «Von welcher Dame sprechen Sie?»
    «Frau Wolfram wollte eine Mitwohnzentrale beauftragen. Die sollten das Haus weitervermieten, solange sie weg ist. Ich hab gleich zu meiner Frau gesagt, dass ich so etwas nicht machen würde. Weiß man ja nie, wen man sich da in die eigenen vier Wände holt.»
    «Kennen Sie den Namen der Mieterin?»
    «Keine Ahnung. Ein ziemlich hochnäsiges Wesen. Ich hab sie erst ein paarmal gesehen. Hat es nie für nötig gehalten, zu grüßen. Seltsame Person.»
    «Wissen Sie, wo Frau Wolfram sich aufhält?», fragte Marthaler. «Wir müssen sie dringend erreichen.»
    «Dann

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