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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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zur nächsten Pause erreicht haben wollte: bis zu dieser Kurve, bis zur nächsten Bank, noch fünfhundert Schritte. Kurz bevor er den Park zum dritten Mal umrundet hatte, reichte es ihm und er wollte aufgeben. Dann überwog sein Ehrgeiz.
    Wieder verließ er den eingezäunten Bereich und erreichte den freien Teil. Ganz oben auf dem Weg, hinter den verschneiten Wiesen, sah er eine Frau im Pelzmantel stehen, die in die Ferne schaute. Eine frühe Spaziergängerin, die den Blick auf die Stadt genoss. Langsam näherte er sich ihr. Wenn sie jetzt noch ein Hündchen hätte, dachte Marthaler, sähe sie aus wie die Dame aus Tschechows Erzählung. Er hätte die Frau gerne so fotografiert.
    Sie wandte sich um und ging langsam weiter. Schnaufend schob er sich an ihr vorbei. Unwillkürlich zog er den Bauch ein und versuchte seinem Schritt etwas mehr Leichtigkeit zu geben.
    Dann hörte er seinen Namen rufen. Zuerst glaubte er, sich getäuscht zu haben. Aber sie rief noch einmal. Er blieb stehen und drehte sich um.
    «Tereza?», fragte er. Er ging zwei Schritte auf sie zu. Ihr Gesicht war von einer Pelzmütze umrahmt. Ungläubig starrte er sie an. Er hatte Angst vor diesem Moment gehabt. Zugleich hatte er sich auf ihn gefreut. Und jetzt war seine Überraschung so groß, dass er nicht wusste, was er tun sollte. Er stand vor ihr und wusste nicht, wohin mit sich.
    «Tereza», sagte er wieder. «Tereza. Tereza.»
    Sie lächelte. «Meine Name hast du jedenfalls nicht vergessen. Willst du mich nicht umarmen?»
    «Doch   … nein, ich bin verschwitzt. Und ich sehe aus   …»
    «Wie eine Witzmann», sagte sie.
    Marthaler lachte. Aber er lachte zu laut. «Ja, wie ein Witzmann.»
    Sie schien seine Verlegenheit zu spüren. Sie küsste sich auf die Fingerspitze und tippte an seine Stirn. Sie wusste, wie sehr er diese Geste mochte.
    «Fast hätte ich dich nicht erkannt», sagte er und wies auf ihren Mantel und die Mütze.
    Sie nickte. «Deutschland ist kalt, wenn man von der Sonne kommt.»
    «Tereza, dass ich dich vergessen habe   … Mir tut das alles so Leid.»
    Sie lächelte nicht mehr. Sie sah ihn schweigend an. «Ich weiß», sagte sie. «Trotzdem.»
    «Was trotzdem?»
    «Es war nicht schön, wie ich da am Flughafen gestanden habe.»
    «Wie hast du dagestanden?»
    «Mit sehr großer Traurigkeit. Und sehr dumm. Wie eine Schaf im Regen.»
    Fast hätte Marthaler lachen müssen über diesen Vergleich. Er suchte nach etwas, das er sagen konnte, aber es fiel ihm nichts ein. So war er froh, dass Tereza wieder das Wort ergriff.
    «Ich war bei Elvira. Sie sagt, dass du Sport machst.»
    «Ja, ich habe wohl zugenommen.»
    «Sie meint, dass du neu werden willst. Ich finde das gut. Wir dürfen nicht so enden.»
    Marthaler sah sie fragend an.
    «Wie die Menschen, die sich egal sind», sagte sie.
    Er wartete, dass sie weitersprach, aber auch ihr war ihre Befangenheit anzumerken.
    «Tereza, du bist mir nicht egal», sagte er. Dann hob er die Hand und strich ihr über die Wange. Aus ihren dunklen Augen sah sie ihn lange forschend an. Er entdeckte in ihrem Blick keine Spur von Härte, nur großen Ernst und eine Unsicherheit, die er bislang nicht an ihr kannte.
    «Wenn du magst, hole ich dich heute Abend ab. Dann hast du Zeit, deine Sachen zu packen. Ich habe in deinem Zimmer schon die Heizung angedreht.»
    Tereza hatte den Kopf gesenkt und sah zu Boden. «Das möchte ich nicht», sagte sie.
    Marthaler merkte, wie der Schweiß auf seiner Haut kalt wurde. Er begann zu frieren und trat jetzt von einem Fuß auf den anderen. «Warum nicht?», fragte er.
    «Nein. Ich habe mir ein Zimmer gemietet in eine Pension. Ich bin dort gestern umgezogen. Deshalb konnte ich nicht kommen.»
    Marthaler merkte, wie sein Mut kleiner wurde. Plötzlich hatte er Angst, dass dies das Ende sein könne. Dass sie hier auseinander gehen würden, ohne sich je gesagt zu haben, was sie einander bedeuteten.
    «Ich möchte, dass wir zusammen sind.»
    Tereza lachte. Aber es kam ihm vor, als sei es ein schmerzliches Lachen.
    «Ich auch», sagte sie. «Aber ich finde dich schöner, wenn du kein Polizist bist.»
    «Aber ich bin Polizist.»
    «Aber besser nicht, wenn wir beisammen sind.»
    Marthaler schwamm. Er wusste nicht, wie er ihre Worte deuten sollte. Ihm fiel ein, was Kerstin Henschel gesagt hatte. Vielleicht hatte Tereza in Madrid einen anderen Mann kennen gelernt. Vielleicht hatte sie auch nur gemerkt, dass Marthaler nicht der Mann war, mit dem sie zusammen sein wollte, und versuchte

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