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Die Braut im Schnee

Die Braut im Schnee

Titel: Die Braut im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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wollte dich nicht wecken. Ich hätte dich nicht so überfallen dürfen.»
    «Papperlapapp», sagte King. «Ich freu mich. Sonst kommtja keiner mehr. Haben alle Angst vor mir. Aber sag mal, seh ich so aus, als könnt ich noch jemandem was antun?»
    «Wer hat Angst vor dir, King?»
    «Alle. Alle außer den Kindern. Und Lille. Die alten Freunde von damals   … sind doch alle zu Kreuze gekrochen. Guck sie dir an. Haben sich Häuser gebaut, in denen sie jetzt hocken wie die Zombies. Ganzen Abend vor der Glotze und morgens wieder raus auf Schicht. Und das seit fast dreißig Jahren. Das Werk hat sie alle aufgefressen. Aber sie tun noch immer, als ginge es ihnen gut, und alle sind sie fett geworden, bewegen sich nicht mehr, fahren große Autos, stottern die Schulden dafür ab und ersticken in ihrem mickrigen Wohlstand. Und keiner, der noch was in der Birne hat, keiner, der noch was anderes will.»
    «Und du?», fragte Marthaler. «Was hast du so gemacht?»
    Wenn man ihn hörte, war King in den letzten Jahren nur von Feinden umzingelt gewesen. Oder von Idioten. Das aber allemal. All seine Unternehmungen waren gescheitert, aber keine davon am eigenen Unvermögen. Immer gab es jemanden, der schuld daran war. Mal eine Behörde, die ihm eine benötigte Genehmigung nicht geben wollte. Mal ein Konkurrent, der seine redlichen Bemühungen hintertrieb, und hin und wieder auch ein unfähiger Mitarbeiter. Neid, Missgunst, Dummheit, Sabotage, wo man auch hinsah. Er hatte Galloway-Rinder züchten wollen, die allesamt eingegangen waren, weil man ihm schlechtes Futter geliefert hatte. Er hatte es als Autoverkäufer versucht und war entlassen worden, als ihm der zweite Pole oder Russe oder was-wusste-er-denn mit einem Neuwagen durchgebrannt war. Er hatte für ein Reiseunternehmen Werbetexte geschrieben, hatte sich aber geweigert, etwas anderes als die Wahrheit zu schreiben.
    Dabei log er noch immer, was das Zeug hielt. Wenn auch mit nachlassender Kraft und nicht mehr so überzeugend wie seinerzeit. Wahrscheinlich nutzte er Marthalers Anwesenheit,um noch einmal richtig vom Leder zu ziehen, wenn ihm sonst schon keiner mehr zuhören wollte. Marthaler nickte, gab ihm Recht und lachte über seine Anekdoten, weil er wusste, dass jeder Widerspruch zwecklos gewesen wäre und nur neue endlose Tiraden heraufbeschworen hätte.
    Schließlich unterbrach King sich selbst und bat Marthaler, zur Zimmertür zu gehen und sie zu öffnen. Er lauschte. Unten hörte man Lille in der Küche hantieren.
    «Okay. Ich wollte nur sichergehen, dass sie nicht in der Nähe ist. Jetzt machst du die Tür wieder zu und gehst zum Schrank. In der untersten Schublade hinter der Wäsche liegt eine Flasche. Die holst du uns jetzt. Und dann nehmen wir einen Schluck – zur Feier des Tages.»
    Marthaler zog eine halb volle Flasche billigen Whiskey hervor.
    «Du willst doch nicht um diese Uhrzeit schon trinken?»
    «Gib schon her», sagte King und hatte ihm die Flasche bereits aus der Hand genommen, den Schraubverschluss geöffnet und einen tiefen Schluck getrunken. Dann hielt er sie Marthaler hin, der nur den Kopf schüttelte.
    «Was war es, King?», fragte Marthaler. «Was hat uns damals auseinander gebracht? Warum bist du mir erst aus dem Weg gegangen und hast dann auf keinen Brief mehr geantwortet?»
    «Was es war? Jetzt tu doch nicht wie neugeboren. Was war es wohl?»
    «Ja, was? Sag es mir.»
    «Lille war es. Du warst scharf auf sie. Oder willst du das bestreiten.»
    «Und wenn? Was wäre schlimm daran gewesen? Was war falsch an mir?»
    «Nichts», sagte King und setzte die Flasche erneut an die Lippen. «Oder alles. Wie an all den anderen, die sie habenwollten. Und auch hatten. Nur, dass die anderen nicht meine Freunde waren. Sie hat drei Kinder von drei verschiedenen Männern, und mit keinem ist sie glücklich geworden.»
    «Und?», fragte Marthaler. «Was hätte dagegen gesprochen, wenn sie mit mir zusammen gewesen wäre, mit einem Freund?»
    «Du hättest sie mir weggenommen.»
    «Ich hätte was?»
    «Sie mir weggenommen. Sie war alles, was ich hatte. Ihr habt sie mir weggenommen. Was meinst du, warum das aus mir geworden ist, was du gerade vor dir siehst. Warum ich ein solches Wrack geworden bin?»
    King hatte Tränen in den Augen. Marthaler dachte nach, und langsam glaubte er zu begreifen.
    «Heißt das, du hast sie geliebt?», fragte er. «Du hast sie selbst geliebt?»
    King sagte nichts. Er starrte vor sich auf die Bettdecke. Dann zog er ein Taschentuch unter dem

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