Die Braut von Rosecliff
walisischen Könige erbittert ums Über leben kämpften. Sie liebte jeden Fußbreit dieses grü nen Waldgebiets zwischen Gebirge und Meer, und auch heute, am dritten Son n tag der Fastenzeit, hatte sie das gemütliche Haus ihres Onkels verlassen, um durch die Gegend zu streifen. Während sie auf die steilen Klippen hinabblickte, staunte sie wie so oft da r über, dass an einem so unwirtlichen Ort Rosen gedeihen kon n ten.
Obwohl sie vor Kälte zitterte, atmete sie die salzige Luft tief ein. Es war nicht weiter schlimm, dass sie fror, denn bald wü r de der Winter ja zu Ende sein. Als sie sich nach Newlin umdre h te, stellte sie fest, dass er nach Osten starrte und sich dabei vor und zurück wiegte, wie meistens, wenn er tief in Gedanken versunken war. Vor und zurück. Vor und zurück…
Sie folgte seinem Blick aufs Meer hinaus, wo die Sonne eine Lücke in den schweren Wolken gefu n den hatte und die Wellen wie Diamanten funkeln ließ. Doch es war nicht die schillernde Wasserobe r fläche, die den Barden faszinierte. Josselyn kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu kö n nen, und erkann te ein Segel. Ein Schiff steuerte auf die Küste zu…
»Das ist die Zukunft, der wir nicht entrinnen kön nen«, ko m mentierte Newlin. Bei jedem Wort stieß er eine weiße Atemwo l ke aus, die sofort vom Nordwind verweht wurde.
»Ist es eine gute oder eine schlechte Zukunft?«, fragte Joss e lyn, die plötzlich auch von innen heraus fror.
Der seltsame kleine Mann zuckte mit der einen Schulter, die er bewegen konnte. »Wie jede Zukunft, so wird auch diese für manche Menschen gut und für andere schlecht sein.« Sein G e sicht verzerrte sich zu dem ihr so vertrauten schiefen Grinsen. »Immerhin ist irgendeine Zukunft besser als gar keine, stimmt’s?«
Natürlich hatte er Recht, doch als sie gemeinsam den Fel s hügel hinabstiegen, wo sich ihre Wege trennten – Jo s selyn kehrte ins Dorf zurück, Newlin in seine armselige Beha u sung unter dem Dornen –, hatte das junge Mädchen düstere Vora h nungen. Es lebte seit neun Jahren bei Onkel und Ta n te, die keine eigenen Kinder mehr hatten und glücklich gew e sen waren, Josselyn nach dem Tod ihrer Eltern bei sich aufzune h men. Sie hatte sich bei ihnen stets sicher und geborgen gefühlt und keine Gedanken an die Zukunft ver schwe n det.
Doch jetzt lagen Veränderungen in der Luft. Sie spürte es, und Newlin spürte es auch. Das bereitete ihr große Sorgen.
»Sie haben auf Rosecliffe Zelte errichtet und laden Unmengen an Vorräten aller Art aus.«
Josselyn lauschte Deweys Bericht genauso au f merksam wie die übrigen Dorfbewohner, die sich in der Halle ihres Onkels versammelt hatten. Onkel Clyde saß regungslos da und dachte in tiefem Schwei gen über die bestürzenden Neuigke i ten seines Kund schafters nach. Es fiel ihr sehr schwer, ihn nicht zu b e drängen. Sie liebte ihren Onkel von ganzem Her zen, doch seine bedächtige Art, die in krassem Gegen satz zu ihrer eigenen I m pulsivität stand, ging ihr manchmal auf die Nerven.
Nach einigen Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, ergriff Clyde endlich das Wort. »Po s tiert Beobachter«, befahl er. »Wir müssen wissen, wie viele Männer es sind und was sie an Materi a lien bei sich haben.« Er legte eine kurze Pause ein. »Ich brauche außerdem den Schreiber. Auch Madoc ap Lloyd sollte über diese Ereignisse B e scheid wissen.«
Diese Bemerkung rief unzufriedenes Geraune hervor, das Cl y de wohlweislich ignorierte. Das Land der Lloyds grenzte im Westen an Carreg Du, aber diese Nachba r schaft bedeutete nicht, dass die beiden Fami lien befreundet waren. Ganz im Gegenteil… Die Lloyds waren genauso ha b gierig wie der englische König, wenngleich in bescheid e nerem Ausmaß. Ein Schaf hier, ein Ochse dort… Sie jagten in den Wäl dern von Carreg Du und stahlen Vieh von den Wei den, wann immer sie konnten. Jeder wusste, dass man den Lloyds nicht trauen durfte. Andererseits hatten alle Waliser einen g e meinsamen Feind: die Engländer. Und wenn Engländer jetzt ein Zeltlager in Rosecliffe aufschlugen, war es nur vernünftig, dass Onkel Clyde die unmittelbaren Nachbarn trotz aller Streitigke i ten über die Bedrohung informierte.
Leider glaubte Josselyn nicht, dass es bei dem Zeltlager bleiben würde. »Was, wenn sie die Absicht ha ben hier zuble i ben?«
Alle drehten sich um und starrten sie an. Das trieb ihr eine leichte Röte in die Wangen, hielt sie jedoch nicht davon ab, i h ren Onkel weiterhin scharf zu
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