Die brennende Gasse
dieser Trip nach Island ihr schließlich doch guttun – er würde sie zwingen, langsamer vorzugehen, ihre Lage neu zu orten, sich zu sammeln. » Ich bin mit meinen Projekten voll im Zeitplan «, setzte sie Chet ins Bild. » Selbstverständlich werde ich alles in bester Ordnung hinterlassen. Und außerdem bin ich sowieso nur ein paar Tage weg. «
» Auf dem Plan ist von einer Woche die Rede. «
» Das hatte ich ursprünglich auch vor, aber ich glaube nicht, daß ich die ganze Woche nehmen werde. «
Ach ja? sagte sein fragender Blick.
Sie zuckte mit den Schultern. » Es erscheint mir im Moment einfach nicht angebracht. «
Die Stadt in Berkshire lag hoch in den Hügeln, und beunruhigt beobachtete Janie die Benzinuhr, als der Volvo sich im zweiten Gang langsam bergauf quälte. Sie tröstete sich damit, daß sie die Rückfahrt weitgehend mit Hilfe der Schwerkraft bewältigen konnte.
Hier braucht man eine halbe Stunde bis zum nächsten Milchladen, dachte sie. Was machen die Leute bloß, wenn sie irgend etwas nötig haben ?
Die Leute ritten auf Pferden. Auf den engen, gewundenen Straßen begegneten ihr Dutzende von Reitern. Die meisten hatten Pakete hinter sich auf dem Sattel, einige Pferde zogen sogar kleine Karren. Träumerisch stellte sich Janie geschnitzte Schilder an Sattlereien, Hufschmieden und mit Stroh bestreute Ladeneingänge in irgendeiner altmodischen Hauptstraße vor. In den Städten waren sie gesetzlich verboten; aber hier in den Bergen, wo Fahrräder aus naheliegenden Gründen nicht in Frage kamen, spielten Pferde im alltäglichen Leben wieder eine Rolle. Dünger war hier sicher keine knappe Ware mehr.
Sie sah auf der Straße nur ein oder zwei andere Autos, einen alten Pickup, der knirschend mit dem, was vom zweiten Gang noch übrig war, bergab holperte, und einen Wagen, der langsam hinter ihr fuhr. Es handelte sich um eines dieser rundum schwarzen Darth-Vader-Monstern mit Allradantrieb, in denen Janie sich immer Mafiosi oder sonstige Gangster vorstellte. Wie stets bei getönten Scheiben fragte sie sich, wer in dem Fahrzeug so wichtig sein mochte, daß er absolut nicht gesehen werden durfte und die Beschaffung von Benzin für ihn kein Problem war.
Vielleicht folgen sie mir, zog sie sich selbst auf. Sie mußte lächeln. Okay, dann fangt mich, wenn ihr könnt.
Sie fuhr langsamer, der Wagen hinter ihr drosselte seine Geschwindigkeit. Als sie schneller fuhr, beschleunigte der Darth Vader ebenfalls. Allmählich wurde sie ein bißchen nervös. Sie hörte auf, das Tempo zu wechseln, und fuhr stetig dahin. Das schwarze Fahrzeug hinter ihr tat exakt dasselbe.
Einen Augenblick lang überlegte sie, am Straßenrand anzuhalten, aber zwei Dinge hinderten sie daran: Die Straße war eng, unnötiges Halten gefährlich, und den Straßenschildern zufolge war sie ihrem Ziel recht nahe. Also kutschierte sie weiter, und als sie die richtige Einfahrt erreichte, überholte das schwarze Auto sie schnell, während sie abbog.
Nachdem sie die Straße verlassen hatte, blieb Janie einen Moment im Wagen sitzen und dachte über das nach, was sich gerade angedeutet hatte. Bekümmert stellte sie fest, daß sie zitterte; was als kleiner privater Scherz begonnen hatte, war allzu real geworden. Sie stieg aus und sah sich ein paar Minuten um, um ruhiger zu werden. Die Gegend war schön und abgelegen, und nach dem rustikalen Aussehen des Hauses hatte sie das Gefühl, ihr elektronischer Kumpan werde seiner menschlichen Bewohnerin nicht willkommen sein. Sie verstaute V. M. also sicher im verschlossenen Kofferraum des Volvo.
Als sie schließlich eintrat, begrüßt von einer anmutigen, lächelnden Linda Horn, fand sie sich in einem lichtdurchfluteten Raum mit perfektem Klima wieder, feuchter Luft, dem Geruch von Torf und Hunderten von Schmetterlingen, deren bunte Flügel überall lautlos flatterten. Sie saßen auf den Lampen und Büchern und Nippes; aber die meisten gab es auf der erstaunlichen Sammlung von Pflanzen. Es war, als sei in den niedrigen Bergen von Westmassachusetts wie durch Zauberei ein tropisches Wunderland entstanden. In einer Ecke des großen Raumes sah sie einen glänzenden Computer, dessen Bildschirm leuchtete.
» Meine Güte «, sagte Janie, während sie sich ehrfürchtig umsah.
» Das ist einfach … wunderbar. Aber wie …? «
» Mein Mann ist Ingenieur für Energietechnik «, antwortete Mrs. Horn. » Das hat er alles für mich eingerichtet. «
» Arbeitet er auch für andere Leute? «
Linda Horn lächelte.
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