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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Zeit stockte Hawisia und hörte auf zu atmen, schnaufte, als hätte sie eine große Anstrengung zu vollbringen. Der Herd streute warmes Licht auf die Ärmchen der Kleinen. Es würde ihr bald bessergehen, Catherine spürte das. Ihre Augen waren weit geöffnet, sie weinte nicht mehr. Heiß war sie, und der Geruch der Krankheit haftete ihr noch an, aber die Kraft, mit der sie ihren Durst stillte, bewies, daß sie sich auf dem Weg der Besserung befand.
    Was sang der Wind im Schacht? Es war ein feines Lied, eine Melodie, die sich um wenige Töne herum entspann und auf sanfte Weise schwebte, schaukelte. Er leistete ihr und der Tochter Gesellschaft. Mit der Glut spielte er, ließ sie hinwegdämmern, fachte sie leise an, hob einige Funken in die Höhe.
    Bald schlief Hawisia ein auf ihrem Arm. Die Kleine war gesättigt, es war warm und trocken. Sie hatte ihre Mutter. Was gab es da Schöneres, als zu schlafen?
    Ruth polterte herein. »Ich habe den Eimer –« Sie unterbrach sich, schloß leise die Tür und blieb im Kücheneingang stehen. »Weißt du, wie schön ihr zwei ausseht?«
    Catherine nickte ihr zu. »Setz dich doch zu uns.«
    Ob sich Ruth noch daran erinnerte, daß sie Catherine damals angefeindet hatte, als sie das Trenneisen über dem Feuer |265| erhitzte? Diese Küche war es gewesen, dieser Herd. Nun aber verhielten sie sich wie Freundinnen.
    »Ich habe den Eimer, siehst du? Wir kochen Wasser, dann können die Windeln darin über Nacht einweichen.« Ruth setzte sich.
    »Ich danke dir.«
    Sie schwiegen.
    »Das macht die Kleine, oder, daß wir einfach sitzen und die Zeit stehenbleibt?« Ruth legte den Kopf in den Nacken und schloß die Augen. »Sonst renne ich den ganzen Tag, vom Sonnenaufgang bis zum Abend, und falle dann ins Stroh. Was einem entgeht, wenn man nicht mal einfach sitzt und Ruhe hält!«
    Catherine sah in die glimmende, schillernde Glut. Das Lied des Windes wurde fröhlicher, es hüpfte ein wenig, und die Asche leuchtete auf. »Hast du Sir Latimer schon gefragt?«
    »Er redet die ganze Zeit mit diesem Sligh. Und du hast ja gesagt –«
    »Richtig, nicht, wenn Sligh es hört. Worüber sprechen sie?«
    »Das weiß ich nicht. Sie spazieren über den Burghof, inspizieren die Wachen und die Vorräte.«
    Catherine seufzte. Wußte Sir Latimer nicht, daß sie gekommen war? Er mußte sie bemerkt haben. Und nach der inbrünstigen Entschuldigung vor Nottingham Castle hätte sie wenigstens mit einer Begrüßung gerechnet. Offenbar schämte sich Thomas Latimer seines Flehens und ging ihr deshalb aus dem Weg. »Erwischt man ihn irgendwo ohne Begleiter?«
    Ruth trommelte mit den Fingern auf ihre Unterlippe. »Al lein ist er, wenn er am Morgen den Abort besucht. Du siehst es hier vom Küchenfenster aus. Kannst den Hof beobachten und schneidest ihm einfach den Weg ab, sobald er das Örtchen verläßt.«
    »Vorausgesetzt, Sligh lauert ihm nicht genauso auf.«
    Ruth lachte, und Catherine mußte schmunzeln, obwohl sie es nicht scherzhaft gemeint hatte.
    »Morgen kriege ich ein großes Wollvlies«, sagte Ruth, »das |266| können wir in Stücke schneiden und der Kleinen in die Windel legen. So wird sie nicht wund.«
    »Du bist so gut zu mir! Danke.«
    Braybrooke Castle hatte sich verändert seit dem Herbst. Der Schlafraum war knapp geworden, jedes Kämmerchen in den Türmen war bewohnt, die Waffenknechte mußten sich damit begnügen, daß man ihnen am Abend Strohsäcke in die Halle über der Kanzlei legte. Auch Catherine hatte kein Zimmer. Sie schlief mit dem Gesinde auf dem Küchenboden.
    Im Laufe des Abends gesellten sich Mägde und Knechte zu ihr und Ruth, die Küche füllte sich. Jeder, der neu hinzukam, schien den Frieden zu spüren. Man setzte sich, sah zur schlafenden Hawisia hin oder zum rotschimmernden Herd und lauschte auf den Wind.
     
    Catherine fröstelte. Sie hatte den Fensterladen nur um einen Spalt geöffnet. Durch diesen blies der Wind in Schüben kühle Morgenluft herein. Sie sehnte sich nach ihrer warmen Nachtdecke. Sollte sie kurz das Fenster verlassen? Es konnte noch lange dauern, bis Thomas Latimer den Burghof betrat. Natürlich konnte es auch sein, daß er gerade kam, während sie mit dem Rücken zum Fenster nach ihrer Decke lief. Der nächste kalte Windstoß zerstäubte jeden Einwand. Catherine hielt das Hocken und Zittern nicht länger aus. Sie wandte sich vom Fenster ab, kletterte über die schlafende Ruth und zwei andere Mägde und hob die Decke auf, die sie in der Nacht gewärmt hatte. Rasch

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