Die Brillenmacherin
senkte sich der Staub. In der Brust des Knappen steckte ein Pfeil.
»Was, um Himmels willen …« Sir Latimer sah zum Rockingham Forest hinüber. »Zu wem gehört dieser Schütze? Vor unseren Augen erschießt er einen meiner Männer!« Er stieß zwischen den Zähnen hervor: »Den schnappen wir uns.«
»Das würde ich nicht raten«, sagte Catherine.
Thomas Latimer sah sie an. »Und warum nicht?«
Am Waldrand zeigte sich ein blauer Farbtupfer. Wie stolz er einhergeschritten war in seinem himmelblauen Rock und den roten Strümpfen! Dieses Blau trug weit und breit nur einer. »Es ist mein Bruder. Er ist nicht –«
»Du erwartest, daß ich darauf Rücksicht nehme? Da hast du dich getäuscht. Er hat meinen Boten getötet!«
»Sir Latimer!«
»Was?«
»Er ist nicht allein.«
»Wer ist bei deinem Bruder?«
»Die Männer William Courtenays, des Erzbischofs von Canterbury. Alan arbeitet für Courtenay. Nevills Männer haben ihn ausgeraubt und halbtot geprügelt, und nun ist er Langbogenschütze geworden beim Erzbischof.«
Reglos lag der Knappe im Straßenstaub. Still lagen die Karpfenbecken, still lag das Dorf. Sir Latimer sah über das Land. »Wie viele lauern mit deinem Bruder im Wald?«
»Ich weiß es nicht.«
»Und liegen sonst irgendwo Männer Courtenays im Hinterhalt?«
»Möglich.«
»Sie wollen verhindern, daß wir den Doktor warnen. Ich wußte es. Ich wußte, er würde gegen uns ziehen. Sobald Courtenay den Doktor hat, bricht hier die Hölle los. Der Erzteufel hat ein Heer aufgestellt, um uns zu vernichten, solange König |270| Richard uns nicht helfen kann.« Er fuhr sich mit den Nägeln durch den Kinnbart. »Also gut. Die Bedeckten Ritter werden kämpfen.« Latimer drehte sich um und trat an die Brüstung auf der Hofseite des Turmes. Er brüllte: »Krieger Gottes …«
Er holte Luft.
»… zu den Waffen!«
Anne schlug die Augen auf. Woher dieser Lärm? Sie hob den Kopf aus den Federkissen, deckte sich auf, ging, nackt, wie sie war, zum Fenster und spähte hinaus. Anne von Ashley kannte Kriegsvorbereitungen. Als Thomas in die Gascogne zog, als es nach Spanien ging oder zur Bretonischen Expedition, da hatte sie gesehen, wie man Klingen schärfte, Banner für die Reise einrollte, Rüstungen ausbesserte.
Nun wurde ihr klar: Sie hatte keinen blassen Schimmer davon, was Krieg war. Reisevorbereitungen waren das gewesen, ein fröhliches Packen und Schnüren, weil es bis zum Kampf noch Wochen dauerte, es mußte England durchquert, das Meer bezwungen und erneut einige Tage gereist werden, ehe der erste Feind in Sicht kam. Heute war es anders.
Dort unten im Hof verwandelten sich Männer, die Mienen finster, in Ungeheuer. Knappen reichten ihnen eiserne Körperteile, und bald ragten Silberschnäbel aus ihren Gesichtern, Hörner drohten gegen den Himmel, von Schultern und Ellenbogen und Händen war nichts mehr zu sehen, weil sie zu Stacheln geworden waren, zu Eisenwalzen. Die Verwandelten führten Schwerthiebe durch die Luft, sie erprobten tödliche Schläge, als könnten sie ihr grausames Werk nicht erwarten.
Zwanzig junge Schützen spannten Bogensehnen auf ihre rot und gelb bemalten Stecken. Ein weiteres halbes Dutzend kurbelte Armbrüste schußbereit. Ein noch unbehelmter Ritter mit langem Haar schwang mit beiden Händen eine Kriegsaxt. An seinem Gürtel hing ein zugespitzter Hammer.
Scheppern, Klopfen, harte Rufe. Es war kein Traum. Es war die Wirklichkeit. Der Tod schöpfte Atem, um seinen Hauch über ein Schlachtfeld zu blasen.
|271| Ihre Lippen bebten, als sie sah, daß aus dem Stall der Destrier herausgeführt wurde. Thomas’ wunderbares Pferd! Größer, breiter war der Destrier als alle anderen Pferde im Hof. Er schnaubte zufrieden, als er das Metallblitzen sah. Man wich ihm aus. Von seinen Hufeisen ragten scharfe Nägel ab, seine Ohren spielten in freudiger Erregung. Man verwandelte ihn mit dem gleichen bösen Zauber in ein Ungeheuer, mit dem man auch die Ritter verwandelt hatte. Panzer für Brust und Kopf setzte man ihm auf, es wölbten sich kugelförmige Schutzausbuchtungen über seine Augen, fein durchlöchert, er bekam einen Heuschreckenkopf. Dann warf man ihm wehenden Stoff über: das goldene Kreuz auf rotem Grund. Thomas würde das Tier reiten. Es war sein Schlachtpferd. Thomas würde kämpfen. Thomas.
Sie dachte: Ich wußte, daß Courtenay die Bedeckten Ritter angreifen würde. Ich habe es gewünscht. Geholfen habe ich, es vorzubereiten! Aber nie wollte ich, daß Thomas zu Schaden
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