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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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kommt.
    Was hatte sie gewonnen, wenn der Ketzerbund vernichtet war und Thomas erschlagen auf dem Feld lag? Für ihn hatte sie alles getan, für ihn war sie zur Verräterin geworden. Sie liebte ihn, sie konnte ihn auf keinen Fall entbehren. Sie hatte ihn vor den Verblendeten retten wollen. Aber nicht um den Preis seines Lebens!
    Anne stürzte zum Bett, hüllte sich notdürftig in ein Laken ein und verließ das Zimmer. Barfüßig hastete sie die Treppe hinauf. Das ausgetretene Holz war schmutzig, kleine Steine lagen darauf, sie stachen in ihre Fußsohlen. Anne klopfte nicht an. Unaufgefordert stieß sie die Tür auf. »Thomas!«
    Er stand zwischen zwei Knechten. Der Plattenpanzer wölbte sich, unsichtbar unter dem Waffenrock, über seine Brust, er sah mächtig aus dadurch, kräftig wie ein Gott. In der Mitte prangte das goldene Kreuz, der Rest des Waffenrocks war blutrot. Auf beiden Seiten schnallten die Knechte ihm Eisenschienen an die Arme. Von seinen Fersen stachen Sporen.
    »Was tust du?« rief sie.
    |272| »Ich ziehe in den Kampf.«
    »Aber warum? Wo ist der Feind?«
    »Er hält sich in den Wäldern rings um Braybrooke verborgen. Wir sind eingekreist, Anne.«
    »Wir haben Vorräte. Warte, bis Nevill dir zu Hilfe eilt. Auch der Feind wird nachgedacht haben. Man würde dich doch nicht mit so wenigen belagern, daß du sie mühelos in die Flucht schlagen kannst.«
    »Keine Schlacht ist mühelos. Was verstehst du davon? Über ihren Ausgang entscheidet nicht die Anzahl der Männer. Es ist eine Frage des Mutes. Ein Mutiger erschlägt zehn Furchtsame.«
    »Wer belagert uns?«
    »Der Erzbischof von Canterbury.«
    »Thomas.« Sie trat nahe an ihn heran und sah ihm fest in die Augen. »Du kannst den Erzbischof nicht allein besiegen. Warte auf Nevill!«
    »Es bleibt keine Zeit. Doktor Hereford muß gewarnt werden. Er ist unterwegs hierher und läuft Courtenay in die Arme, wenn ich ihn nicht rechtzeitig verständige.«
    »Du wirst sterben!«
    »Mein Leben bedeutet weniger als das des Doktors.«
    »Du wirst sterben, bevor du ihn erreicht hast! Dein Leben wird nutzlos ausgelöscht.« Sie sah die dicken Adern an seinen Händen, sie sah seinen Mund. Wann hatte sie ihn zuletzt geküßt? Wann ihn zuletzt liebkost? Wie hatte sie die Tage verschwendet, in denen sie ihn hätte lieben können! Sie war besessen gewesen von dem Plan, ihn aus dem Ketzerbund zu befreien, alles hatte sie darangesetzt und dabei das Eigentliche verfehlt. »Thomas, bitte. Bleib.«
    Feuer loderte in seinem Blick. Das war also der Thomas Latimer, den man auf dem Schlachtfeld fürchtete. Konnte es nicht sein, daß er recht hatte und daß die Bischöflichen in die Flucht geschlagen würden? Man band ihm einen Zweihänder auf den Rücken, ein Schwert von der Größe eines Mannes.
    Courtenay war verschlagen, er war intelligenter als Thomas. |273| Vielleicht würde Thomas auf offenem Felde siegen. Aber Courtenay wußte das. Wenn sie ihren Mann in den Kampf ziehen ließ, würde er in eine Falle geraten.
    »Siehst du diese Flicken?« Thomas sah an sich herunter. »Jeder rote Fetzen bedeckt einen Schnitt durch den Waffenrock. So oft hätte ich sterben können. Ich bin nicht gestorben, weil Gott mein Leben bewahrt hat. Wenn er mich heute sterben läßt, so ist es sein Wille. Gott hat Doktor Hereford damit beauftragt, daß er die Bibel ins Englische übersetzt. Und ich bin der Ritter, der für sein Leben verantwortlich ist.«
    »Mit wem wird Gott wohl eher sein: Mit einem Ritter, der seltsame Lehren glaubt, oder mit dem päpstlichen Legaten und Erzbischof?«
    »Heiligkeit, Anne, zeigt sich nicht im Äußeren, weder in einem Amt noch in einem fromm dreinblickenden Gesicht. Heiligkeit ist etwas Inneres. Du allein weißt, ob du glaubst und zu Gott hingewendet lebst. Urteile nicht über den Erzbischof. Du kennst sein Inneres nicht. Es mag schwarz sein vor Fäule.«
    Mit solchen Gedanken würden die Armbrustbolzen der Männer Courtenays nicht aufzuhalten sein. Sie mußte sich etwas einfallen lassen, wenn Thomas die nächsten Stunden überleben sollte. »Hör zu, Thomas, ich will, daß du diesen Tag überlebst. Vielleicht ist Gott tatsächlich mit dir, aber er hat dir einen Kopf gegeben, damit du nachdenkst, bevor du losdrischst. Du hast vierzig Männer. Rennt das Heer Courtenays gegen die Burg an, kannst du sie womöglich halten. Einen Ausfall aber wirst du nicht überleben. Läßt sich Hereford nicht warnen, ohne daß du die Burg verläßt?«
    »Er muß die Nachricht sofort

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