Die Brillenmacherin
Brillenmacherin gellte von Wall zu Wall.
»Tue es.« Thomas nickte Sligh zu.
»Er wird mich umbringen!« Sie bäumte sich auf zwischen den Waffenknechten, versuchte, sich loszureißen, während sie ihr Kind an sich preßte. »Er wird mich umbringen, wie er Elias umgebracht hat! Hört, Sir Latimer, hätte ich Euch heute |281| morgen gewarnt, wenn ich gewollt hätte, daß der Erzbischof Doktor Hereford fängt? Ich habe meine Tat längst bereut und wollte das Unglück verhindern.«
Man schleifte sie weiter.
»Fragt William Sligh nach der Bibel, kein Wort wird er Euch sagen können! Er war bei Nevill, ja, und er hat sich sein Vertrauen erschlichen wie das Eure. Denkt darüber nach, wie kurz ihr ihn erst kennt. Er arbeitet seit zehn Jahren für Courtenay, er ist kein Anhänger Wycliffes, sondern ein Feind!«
Sligh eilte der Brillenmacherin und den zwei Waffenknechten nach. Er trat nach der Frau wie nach einem Hund. »Du verlogener Satansbraten!« Anne zuckte zusammen. Daß er nicht das Kind traf!
Die Brillenmacherin jaulte auf vor Schmerzen und ging in die Knie.
Erneut trat er zu. »Behalte dein Gift im Maul, du Schlange!« Als sie sich krümmte, das Kind schützend unter sich verborgen, brüllte er die Knechte an: »Was gafft ihr? Tragt sie in den Keller!«
»Einen Augenblick.« Thomas stutzte. »Laßt sie sprechen. Was willst du damit sagen, Catherine?«
»Fragt diesen Mörder«, ächzte sie, »nach den Lehren der Bedeckten Ritter, er wird nichts wissen. Er ist keiner der Euren.« Sie keuchte um Luft und versuchte aufzustehen.
»Ihr seid Lollarde, Sligh, sagtet Ihr. Ist das die Wahrheit?«
»Natürlich.« Sligh klatschte die kleinen schwulstigen Hände gegeneinander. »Was redet sie da, lauter Lügen. Hätte ich Nevill und Euch Ritter herangeschafft, die für Wycliffes Erbe und die Kirchenreform zu kämpfen bereit sind? Hätte ich das getan, wenn ich für Courtenay arbeiten würde?«
»Sage mir, was schreibt Wycliffe in seinem
Tractatus de Mandatis Divinis
über den Gebrauch von Bildern?«
Sligh lachte unbeholfen. »Er verdammt sie natürlich. Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es in der Heiligen Schrift. Die Kirche verstößt dagegen, fortwährend, und Wycliffe, äh, Wycliffe weist auf den Frevel hin.«
|282| »Nein, Sligh, du irrst. Bilder können gut und schlecht gebraucht werden, schreibt Wycliffe. Gut, um die Gläubigen dazu zu bewegen, Gott hingebungsvoller zu lieben. Schlecht, um vom wahren Glauben abzulenken, wenn beispielsweise das Bild angebetet wird oder für seine Schönheit, seinen hohen Wert oder die Verbindung zu irgendwelchen unwichtigen Umständen verehrt wird.«
»Nun, aber er meint doch, daß sie eher nicht Verwendung finden sollen.«
»Was schreibt Wycliffe über die Messe? Ist es gut, Gottesdienst zu feiern?«
Sligh hob den feisten Finger und schüttelte ihn gegen Latimer. »Ihr wollt mich aufs Glatteis führen. Natürlich ist Wycliffe für den Gottesdienst. Wir sollen nicht die Gottesdienste verlassen, so sagt er, nicht wahr?«
»Ein einfaches Vaterunser eines Bauern, schreibt Wycliffe, das in Nächstenliebe und Milde gesagt wird, ist besser als tausend Messen von habgierigen Prälaten und eitlen Gläubigen, voll von Neid und Stolz und falscher Schmeichelei.«
Der Mann wand sich, lächelte dabei. »So leicht laßt Ihr Euch verunsichern? Ich habe Euch Ritter herangeschafft, Herr, bedenkt das.«
»Schafft sie beide in den Keller und legt sie in Ketten.« Thomas’ Gesicht zeigte keine Regung. »Ich kümmere mich später darum.«
»Du miese Kröte«, geiferte Sligh. Er rannte gegen Catherine an, wurde aber von den Waffenknechten ergriffen, bevor er sie erreichte. Er trat nach ihr, ohne sie zu treffen. Sand spritzte auf. »Ich werde dich zerquetschen. Du wirst büßen für deine Lügen, büßen! Ich bin unschuldig. Ist das der Dank? Ist das Euer Dank, Sir Latimer?«
»Ruth«, rief die Brillenmacherin, »nimm die Kleine.«
Die Küchenmagd eilte herbei und nahm ihr den Säugling aus den Armen.
»Kümmere dich gut um sie. Sie hat nur das Beste verdient. Was kann sie für meine Fehler?«
|283| Nun war doch eine Bewegung in Thomas’ Gesicht zu sehen. Die Stellung der Brauen veränderte sich, die Mundwinkel wurden weich. Anne biß sich auf die Zunge. Die Brillenmacherin dauerte ihn, wegen des Säuglings. Warum hatten sie keine Kinder? Warum nur hatte Gott sie unfruchtbar gemacht in den ersten zwei Jahren der Ehe? Sie hatte Thomas keine Nachfahren geschenkt. Nie hatte er es
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