Die Brillenmacherin
nicht. Anne war um einiges schlanker als sie. Aber Thomas und sie schliefen nicht mehr miteinander. Er war sicher leicht zu verführen. Diese Frau mußte fort von hier, rasch. Es würde alles wieder gut werden zwischen ihr, Anne, und Thomas. Nur die Brillenmacherin mußte fortgeschafft werden. Die Wunden würden bald heilen, sie würden endlich glücklich sein. Der Ketzerbund zerbrach ja, die lange Zeit des Wartens war vorüber, bald brauchte er Trost und Halt. Seine Freunde würden sie ihm nicht mehr geben können.
Er würde Anne sehen, nach Jahren würde er seine Frau anschauen und merken, daß sie schön war und daß sie ihn mehr liebte als alles andere in der Welt. Er würde begreifen, welches Glück er erleben konnte mit ihr. Für ihn würde sie sich die Haare aus der Stirn zupfen, eine hohe und kindliche Stirn würde sie für ihn haben. Sie würde sich die Augenlider färben, sie würde ihn sinnlich stimmen mit sanften Worten und begehrenden Blicken. Wenn er erst seinen Hunger im Bett gestillt hatte, würden sie lange und tiefgründige Gespräche führen, sie würde ihm raten, zur Kirche zurückzukehren und dem Lollardenglauben abzuschwören, und er würde die langen Jahre bereuen, in denen Kälte zwischen ihnen geherrscht hatte.
|279| »Gonora.«
Die Kammerfrau hob die Schleppe an, und Anne trat zu Thomas hinüber.
»Er wird es gesehen haben«, sagte sie. »Wir sollten das Feuer löschen, sonst brennt uns noch ein Turm an.«
»Es soll noch ein wenig geschürt werden. Ich will, daß man den Rauch bis Market Harborough sieht und jemand nach Nottingham eilt, um Nevill zu Hilfe zu rufen.«
Wenn Nevill hier auftauchte, würde sie Thomas schwerlich in der Burg halten können. Aber Courtenay hatte Braybrooke eingekreist, hieß es. Vielleicht würde Nevill mit seinen Männern gar nicht bis zum Ort vordringen, vielleicht hielt ihn der Erzbischof schon in den Wäldern auf. Thomas sollte leben. Überstand er diese Tage, dann konnten sie gemeinsam alt werden.
Sligh näherte sich. In seinen enormen Augenbällen waren einige Adern geplatzt, er war offensichtlich erregt. »Sir Latimer, beide sind wir getäuscht worden.« Der sackartige Hals schwappte hin und her, und Slighs Kopf schwankte. »Sie hat uns hereingelegt!«
»Von wem redest du?«
»Die Brillenmacherin«, fauchte er haßerfüllt. »Ihr Bruder hat den Knappen erschossen.«
»Ja, das hat sie gesagt.«
»Macht Euch das nicht stutzig? Es gibt kein Heer in den Wäldern. Sie lügt! Sie selbst hat Doktor Hereford an den Erzbischof verraten, und ihr Verbündeter dort am Waldrand soll den Häschern Zeit verschaffen, indem er uns daran hindert, die Burg zu verlassen. Ein einziger Mann hält uns in Schach. Absurd ist das!«
Anne musterte die Brillenmacherin. Kein Zweifel, sie war erblaßt, und anstatt zu widersprechen, blickte sie furchtsam um sich. Sprach der Mann die Wahrheit? Zuzutrauen war es ihr, daß sie gegen Belohnung einen gesuchten Menschen auslieferte.
»Ich habe mich gleich gefragt«, fuhr Sligh fort, »warum mir |280| ihr Gesicht bekannt vorkommt. Nun weiß ich es: Ich habe sie bei Sir William Nevill in Nottingham gesehen. Gebt sie der Folter preis – sie wird gestehen, daß sie ihn nach Doktor Herefords Verbleib ausgehorcht hat und ihn dann an Courtenay verriet.«
»Du?« Thomas sah die Brillenmacherin an. Dann sagte er knapp: »Packt sie.«
Man ergriff das Weib. Die fleckigen Hände der Waffenknechte beschmutzten ihren Mantel. »In den Keller?« fragte einer der Knechte.
»Noch nicht.« Thomas trat zu ihr heran und sah ihr eindringlich in das Gesicht. »Gott ist allmächtig und ein gerechter Richter. Er wird dich hart bestrafen, wenn du lügst. Hast du Nevill ausgehorcht, und hast du Doktor Hereford an den Erzbischof verraten?«
Sie senkte den Blick.
»Rede!«
Die Brillenmacherin nickte. Sie gestand es! So sehr ließ sie sich von Thomas einschüchtern, daß sie keine Lüge zuwege brachte? Tränen liefen ihr über die Wangen. Kein Zweifel, sie hatte ihr Herz an ihren Mann verloren. Anders ließ es sich nicht erklären, daß ihr die Fäden ihres Intrigenspiels aus den Fingern glitten. Nieder mit dir, dachte Anne erfreut, fort von unserem Hof!
»So habe ich mich in dir getäuscht.« Thomas spie vor ihr auf den Boden. »Schafft sie mir aus den Augen!«
»Wartet«, sagte Sligh, »soll ich sie nicht verhören? Vielleicht weiß sie mehr über Courtenays Pläne. Wenn ich sie ein wenig steche, wird sie reden.«
»Nein!« Der Schrei der
Weitere Kostenlose Bücher