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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ihr zum Vorwurf gemacht. War das sein geheimer Schmerz? Liebte er sie deshalb nicht? Sie hatte das als Ursache immer ausgeschlossen, weil er nicht besonders ausdauernd versucht hatte, ein Kind zu zeugen.
    Vom Turm rief einer der Bogenschützen: »Reiter, Sir!«
     
    »Sie machen kehrt, Exzellenz.«
    »Erschießt sie. Alle bis auf Hereford.«
    Er hörte das Klacken der Armbrüste, den kurzen, scharfen Pfiff ihrer hart gespannten Sehnen. Bolzen schlugen in Körper ein, Menschen stöhnten. Sie schrien nicht, sie kämpften nicht. Sie starben einfach. Er hatte den Befehl dazu gegeben, und sie ließen ihr Leben. Courtenay zupfte sich eine Klette vom Waffenrock, trat an das Pferd heran, saß auf. Ich habe zwei Gesichter, dachte er, einmal trage ich den Bischofsornat, dann den Waffenrock. In beiden bin ich mächtig.
    Ein leichter Druck der Fersen. Das Pferd erklomm den Hügel zur Straße hin. Wen erschreckte nicht der gelbe Rock mit den roten Kreisen? Seine Mutter, Margaret de Bohun, war eine Enkelin König Edwards des Ersten. Es floß sozusagen königliches Blut in seinen Adern.
    Schon vor Wochen hatte er Abt Everard befohlen, die dem Augustinerstift lehnspflichtigen Ritter zusammenzurufen. Immerhin siebzehn waren erschienen. Zwei Earls, die er aus Südengland herbeigerufen hatte, waren mit eigenem Rittergefolge gekommen. Zusätzlich hatte er Söldnerhauptleute gekauft, die Bogenschützen mitbrachten und bewaffnete Fußkrieger. Die Hauptleute bekamen eine feste Summe, von der sie sich einen fetten Anteil abzweigten, bevor sie den Rest unter ihre Leute verteilten, manche erhielten nur Speise und Trank |284| und hofften auf Kriegsbeute. Nun, sie würden genug erbeuten, wenn er erst gegen die Burgen der Bedeckten Ritter zog.
    Courtenay lächelte. Von der bewaldeten Hügelkuppe aus bot sich ihm ein Bild des Erfolges. Auf der Straße lagen Tote, niedergestreckt, weil er es so gewollt hatte. Beinahe wirkte es, als wären sie freiwillig vor ihm in den Staub gestürzt. Sie hatten sich nicht gewehrt. Letztendlich war man vor seiner Macht niedergefallen.
    Seine Männer nahmen die Zügel der verlassenen Pferde auf und führten die Tiere von der Straße. Sie schleppten die Toten in den Wald. Nur einer saß noch auf seinem Roß: Hereford. Die Schultern waren eingesunken, der Blick trübe. Diesen Schwächling hatte er jahrelang gejagt? Dieser Greis sollte der gefährlichste Mann Englands sein? »Doktor«, sagte Courtenay. »Wie schön, daß wir uns endlich kennenlernen.«
    »Mußte dieses Morden sein?«
    »Sie hätten Euch verteidigt bis zu ihrem Ende, oder etwa nicht? Ich habe ihnen Qualen erspart.«
    Hereford sah auf einen röchelnden Schwerverletzten hinab, der versuchte fortzukriechen. »Er war unbewaffnet. Ein junger Student, er hat gefragt, ob es gut ist, Romane zu lesen. Ist es gut, Romane zu lesen, William Courtenay?« Der Greis blickte ihn an.
    Da begriff er, warum Hereford einem großen und starken Land den Atem abdrücken konnte. Es war etwas Unmittelbares an diesem Mann, jegliche Masken fehlten, jegliches Spiel und Gehabe. Er fürchtete sich nicht, zu sein, was er war. Der Greis vermutete wohl eine große Macht hinter sich, anders war seine Selbstsicherheit nicht zu erklären. Er dachte, Gott selbst stünde ihm bei. Ein Ketzer, der der Kirche in den Rücken fiel. »Wie gut Ihr Euch belügen könnt, Doktor. Ihr glaubt tatsächlich, Ihr seid wichtig, Ihr haltet Euch für einen, der den guten Weg bahnt, nicht wahr?«
    Der Greis schwieg.
    Man eilte herbei, um den Verletzen zu erschlagen. »Nein«, Courtenay winkte die Männer fort, »laßt ihn langsam verrecken. |285| Wir haben Zeit.« Er sah Hereford an. »Ich will Euch sagen, was Ihr seid: eine eiternde Wunde im Körper der Kirche. Ihr vergiftet sie mit Eurem Schmutz. Schluß damit! Der Allmächtige und sein Vertreter auf Erden, Papst Urban der Sechste in Rom, haben genug von Euch. Wo ist Euer Teufelswerk versteckt, dieses Vergehen an Gottes Wort? Sagt es, und Ihr sollt rasch und friedlich sterben wie Eure Gefährten.«
    »Du drohst mir mit dem Tod?« Hereford schürzte die Lippen. »Müßtest du als Hirte der Kirche nicht wissen, daß ich unsterblich bin? Jesus Christus ist am Kreuz gestorben, und wer an ihn glaubt, mag zwar in seiner irdischen Hülle das Leben lassen. Wenn aber der Herr wiederkommt am Ende der Zeit, dann wird jedes seiner Kinder auferweckt zu einem neuen Dasein, ohne Tod, ohne Krankheit, ohne Tränen. Ich werde lachen über dich, Courtenay. Gott ruft mich

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