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Die Brillenmacherin

Die Brillenmacherin

Titel: Die Brillenmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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gestrickt. Sie spricht nur das Herz an. Es ist immer das gleiche: Ritter, die sich verkleiden oder ein fremdes Wappen annehmen, um unerkannt zu kämpfen und letztendlich als Helden ihren wahren Namen zu offenbaren. Schwarze Ritter, rote Ritter, weiße Ritter, unbekannte Ritter, falsche Ritter, Märchenritter. Halte dich an die französischen Romane, Junge, da findest du bewundernswerte Dichtkunst.«
    »Ich habe mir gerade ›Richard Löwenherz‹ ausgeliehen.«
    »Einfach gestrickt.«
    »Woran kann ich das merken?«
    »Allein schon daran, wie Franzosen und Sarazenen dargestellt werden. Feige sollen sie sein. Ist es so? Ist ein ganzes Volk feige? Ein anderes Volk gefährlich? Du weißt doch, daß das nicht stimmt.«
    »Gibt es denn Dichtung, die zu lesen sich lohnt?«
    »Wenn du schon Englisches lesen mußt, dann lies ›Sir Gawain und der grüne Ritter‹. Es ist elegant und fein geschrieben und lehrt eine gute Moral. Oder ›Piers Plowman‹ von William Langland. Ein kluges Werk. Christus tritt darin als Ritter in einem Turnier auf. Ihm wird eine Lanze in die Seite gestoßen, verstehst du, wie bei der Kreuzigung ihm der Römer eine Lanze in die Seite stieß, um zu prüfen, ob er tot ist, so wird ihm im Turnier ebenfalls eine Lanze in die Seite gestoßen. Eine feine Art zu belehren innerhalb der Geschichte! Der blinde Ritter, der den Herrn in Piers Plowman verletzt, wird augenblicklich sehend. So werden jedem die Augen geöffnet, der erkennt, daß Christus gestorben ist, um uns zu retten.«
    »Das ist klug erdacht.«
    |277| »Du bist noch jung. In deinem Alter weiß man nicht alles zu entscheiden. Sei gnädig mit dir selbst.«
    »Ich glaube, ich bin ein Hasenfuß. Ich will ehrlich sein zu Euch. Mich ergreift schon das Unbehagen, wenn ich zu entscheiden habe, ob ich ein Buch in Leder binden lasse oder in Holz! Leder oder Holz, frage ich mich und verzweifle daran. Oder die Frage, ob ich mir Verschlußlaschen leisten soll, die das Buch davor bewahren, sich aufzuplustern, im Falle, daß es feucht wird. Sie kosten Geld. Das Buch bleibt aber länger erhalten. Ist das die Summe wert? Gebe ich farbige Zeichnungen in Auftrag, die den Text ausschmücken und erklären? Wie viele? Ich glaube, ich bin einfach lebensunfähig.«
    »Du bist übermüdet. Dort hinter diesem Wald ist –« Er verstummte. Da lag Braybrooke, und wo er Braybrooke wußte, wälzte sich eine schwarze Rauchwolke in den Himmel. Brannte das Dorf? Brannte die Burg?
    An einem nassen Tag wie diesem fing kein Dach so einfach Feuer. »Ho!« Er zog die Zügel bis an den Bauch. »Steh!«
     
    Sie warfen Gras auf das Feuer und Buschwerk und trockenes Laub. Mit langen Stecken rührten sie in den Flammen, damit sie nicht erstickten unter der feuchten Last. Der Qualm blähte sich über dem Hof zu einer schwarzen Kugel auf. Viele husteten. Ruß und Staub reizten die Kehlen. Das Feuer verbreitete beißende Rauchschwaden.
    Auf den Wällen standen dicht an dicht die Schützen. Man erwartete einen Angriff Courtenays. Nahm er es hin, daß sie eine Warnung in den Himmel sandten, die weithin sichtbar war?
    Anne schlang den wollenen Sommermantel dichter um ihr Brokatkleid. Es würde nicht viel nützen. Der Rauchgeruch würde noch lange an den Kleidern haften.
    Wie diese Brillenmacherin Thomas ansah! Eine Frechheit. Ihre Blicke betasteten ihn, nichts anderes schien sie zu bemerken im Hof als Thomas, selbst den Säugling auf ihrem Arm vergaß sie. Andere Mütter hätten nur Augen für ihr Kind gehabt. Der Qualm verpestete die Atemluft des Würmchens, |278| kümmerte sie das nicht? Nein, sie versuchte, ihm zu gefallen, Annes Ehemann. Ihr Mantel stand offen – außen von grüner Farbe, innen mit blauer, feiner Wolle gefüttert, ein hübsches Teil – und zeigte den Halsausschnitt, was hieß den Halssausschnitt, die Brüste offenbarte er! Das Kleid war vielleicht so alt wie das Kind, noch vor zwei Jahren hätte niemand es gewagt, ein Kleidungsstück so weit zu öffnen, daß es die Brüste entblößte. Knöpfe liefen vom Ausschnitt herab, man öffnete es vorn, ein Affront, sie bot sich ja regelrecht an, diese Hure!
    Natürlich, das erklärte, wie sich eine Brillenmacherin derartige Kleider leisten konnte. Sie stellte den Mächtigen nicht nur Augengläser her, sondern bot ihnen dazu auch noch ihren drallen Körper feil. Von Thomas sollte sie die Finger lassen!
    Beschämt fühlte Anne die Bänder an der Seite ihres Kleides. Immerhin, sie schnürte die Taille, das tat das junge Ding

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