Die Brillenmacherin
haben einen ersten Sturmangriff versucht. Offenbar ist ihm neu, daß ich die Burgbesatzung in den letzten Wochen verdreifacht habe – mit Leichtigkeit haben wir sie zurückgeschlagen. Nun bauen sie ein Heerlager auf hinter dem Dorf. Nur Doktor Hereford … Hoffen wir, daß er den Rauch gesehen hat.«
»Wie kann ich meine Schuld wiedergutmachen?«
Sie passierten Sligh. »Diese Pestbeule!« brüllte er. »Merkt Ihr nicht, wie sie Euch betrügt? Sir Latimer, Ihr macht einen Fehler!« Er fletschte die Zähne und riß an den Ketten. »Denkt an mich«, rief er, »denkt an mich, wenn sie Euch verrät!«
Erleichtert atmete Thomas aus, als er die Kellertür hinter sich geschlossen hatte. »Wir werden sehen.«
Zartrote Streifen zierten das Abendblau am Himmel. Schon funkelten die ersten Sterne. »Ich danke Euch«, sagte Catherine und sah zu Boden.
Er bewunderte sie: Obwohl sie den Säugling in der Küche weinen hörte, stand sie hier bei ihm und bedankte sich. »Wenn du das Kind gestillt hast, bete mit dem Gesinde, daß der Allmächtige den Doktor retten möge.«
»Ich muß nicht wieder in den Keller hinab? Ich … Wie betet man? Ich will fortan alles richtig machen.«
»Du weißt nicht zu beten?«
»Ich kenne nur das Vaterunser. In englischer Sprache mit Gott zu reden … Wie tut man das? Ich meine, ohne daß man ihn erzürnt?«
Anne klammerte sich an die Lehne der Fensterbank. Sie drückte so fest zu, daß es schmerzte. Im Hals hingen Tränen fest, sie drangen nicht bis zu den Augen durch, sondern steckten in der Kehle. Zuzusehen, wie Thomas sich verliebte! Nie hätte sie geglaubt, daß sie noch schlimmer leiden konnte, als sie es bereits durch seine Kälte tat.
Da standen sie im weichen Abendlicht und redeten. Wenig fehlte, und ihre Gesichter berührten sich. Hatte Thomas jemals so dicht bei ihr gestanden, hatte er ihr, Anne, jemals so |289| tief in die Augen geblickt? Nun hob er die Hand und streichelte Catherine die Schulter.
Anne wendete sich ab. Sie gab einen langen, dünnen Ton von sich. Oh, es tat weh! Es tat weh! Am ganzen Körper zitterte sie. Sie wollte sterben, sofort tot umfallen und das nicht mehr erleben müssen. Hilfesuchend sah sie sich um: das Bett, die Tür, das Spinnrad, der Webstuhl, die Truhen, der Tisch. Wer half ihr? Wer rettete sie? Tränen brachen sich Bahn. Sie flossen ihr über das glühende Gesicht, salzig versickerten sie in den Mundwinkeln.
Ob sie sich draußen küßten? Schau es dir nicht an, sagte sie sich und trat zum Fenster, um es sich anzuschauen. Sie blinzelte, konnte zuerst nichts erkennen. Dann sah sie: Thomas und Catherine waren verschwunden. Anne eilte zur Tür und lauschte. Schritte auf der Treppe, ja, zwei Menschen. Sie gingen gemeinsam auf sein Zimmer. Sie würden sich in die Kissen wühlen und das Liebesspiel treiben.
»Vielleicht können wir Sligh gegen Hereford austauschen«, sagte eine Männerstimme. Einer der Ritter? Thomas ging gar nicht mit Catherine?
Er antwortete: »Wenn er nicht umgekehrt ist wegen der Rauchwolke, wenn er sich tatsächlich in Courtenays Händen befindet, so glaube ich nicht, daß der Erzbischof einem solchen Handel zustimmen wird. Wie könnte ihm Sligh ebenso wertvoll sein wie der Doktor?«
»Einen Versuch wäre es wert. Wir könnten zusätzlich zu Sligh die Bibelübersetzung anbieten. Courtenay kann nicht wissen, daß Ihr bereits Abschriften in ganz England verteilt habt, um sie vor ihm zu retten; er könnte meinen, damit sei die Arbeit hinfällig und Hereford müsse von vorn beginnen.«
»Das wäre eine – Augenblick!« Die Schritte verstummten. Sie waren stehengeblieben vor ihrer Tür. Hastig wischte sich Anne die Tränen aus dem Gesicht.
»Er weiß doch nicht«, fuhr Thomas fort, »daß Catherine ihren Verrat bereut hat. Wenn wir sie als Botin schicken, um für uns zu verhandeln, könnte er meinen, wir hätten noch keinen |290| Verdacht geschöpft. Er würde sie gern zurückschicken zu uns, während sie aber für mich spioniert und berichten kann, wie groß sein Heer ist und was er vorbereitet an Belagerungstürmen, Rammböcken und Sturmleitern. Außerdem kann sie vielleicht einen der Dörfler zu Nevill schicken.«
Als Botin wollte er sie zu Courtenay senden? Am besten war es, wenn sie von dort nicht mehr zurückkehrte. Anne trat an die kleinere der Truhen heran, hob den Deckel und entnahm ihr einen Bogen Pergament, das Tintenfaß und die Feder. Damit setzte sie sich an den Tisch. Sie machte sich nicht die Mühe, die Feder
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