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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Staub
, mit Joel McCrea in der Hauptrolle.In einer Szene saßen die Cowboys plaudernd am Lagerfeuer, und der komische Alte der Gruppe (gespielt von James Whitmore, glaube ich) sagte einen Satz, über den ich laut lachen musste. «Ich genieße es, alt zu werden», sagte er, «das macht einem das Leben leichter.» Ich gab Joyce einen Kuss auf die Wange und flüsterte: «Der Blödmann hat keine Ahnung, wovon er redet», und zum ersten Mal an diesem Abend lachte auch mein immer noch aufgewühlter, unglücklicher Liebling.
    Zehn Minuten nachdem Joyce dieses Lachen ausgestoßen hatte, ging es mit meinem Leben zu Ende. Wir saßen auf dem Sofa und sahen uns den Film an, und plötzlich schoss mir ein Schmerz in die Brust. Zuerst hielt ich es für Sodbrennen, eine Magenverstimmung von dem hastig verzehrten Essen, aber der Schmerz nahm immer mehr zu und breitete sich in meinem Oberkörper aus, als sei mein Inneres in Brand geraten, als hätte ich ein Fass geschmolzenes Blei verschluckt, und bald war mein linker Arm vollkommen taub, und in meinem Mund juckte es wie von tausend Nadelstichen. Ich hatte genug über Herzinfarkte gelesen und wusste daher, das waren die klassischen Symptome, und da der Schmerz immer intensiver wurde und sich in immer unerträglichere Wut hineinsteigerte, dachte ich, nun sei es also so weit. Ich versuchte aufzustehen, aber nach zwei Schritten kippte ich um und wälzte mich auf dem Fußboden. Mit beiden Händen meine Brust umklammernd, rang ich um Atem, und Joyce hielt mich in den Armen, schaute mir ins Gesicht und sagte, ich solle bloß nicht schlapp machen. Aus weiter Ferne hörte ich sie sagen: «O mein Gott. O mein Gott, genau wie Tony», und dann war sie nicht mehr da, und ich hörte sie schreien, sie schrie, jemand solle einen Krankenwagen in die First Street schicken. Erstaunlicherweise hatte ich keine Angst. Der Anfall hatte mich inein anderes Universum katapultiert, und dort waren Fragen von Leben und Tod bedeutungslos. Man nahm es einfach hin. Man nahm einfach hin, was einem gegeben wurde, und wenn man mir für diesen Abend den Tod zugedacht hatte, war ich bereit, ihn zu akzeptieren. Als die Sanitäter mich in den Krankenwagen hoben, sah ich Joyce wieder neben mir; Tränen liefen ihr übers Gesicht. Wenn ich mich recht erinnere, gelang es mir, ihr zuzulächeln. «Stirb mir nicht, Baby», sagte sie. «Bitte, Nathan, stirb mir nicht.» Dann schlossen sich die Türen, und gleich darauf war ich weg.

INSPIRATION
    I ch bin nicht gestorben. Wie sich herausstellte, hatte ich nicht einmal einen Herzinfarkt. Eine Entzündung der Speiseröhre war die Ursache meiner Pein, aber das wusste zu dem Zeitpunkt niemand, und für den Rest der Nacht und den Großteil des folgenden Tages war ich überzeugt davon, dass mein Leben zu Ende war.
    Der Krankenwagen brachte mich zum Methodistenhospital an der Kreuzung Sixth Street und Seventh Avenue, und da in den oberen Stockwerken alle Betten belegt waren, kam ich in eine der kleinen Kabinen, die unten in der Notaufnahme für Herzpatienten reserviert sind. Ein dünner grüner Vorhang trennte mich vom Empfangsschalter (falls die Schwestern daran dachten, ihn zuzuziehen), und von einem frühen Besuch im Röntgenraum am Ende des Flurs abgesehen, lag ich die ganze Zeit nur auf meinem schmalen Bett herum. Mein Körper war an einen Herzmonitor angeschlossen, und mit der Tropfnadel im Arm und Sauerstoffschläuchen in den Nasenlöchern blieb mir auch gar nichts anderes übrig, als auf dem Rücken liegen zu bleiben. Alle vier Stunden wurde mir Blut abgenommen. Bei einem Infarkt lösen sich kleine Gewebeteilchen vom Herzen und geraten in den Blutkreislauf, und diese Teilchen können mittels bestimmter Tests nachgewiesen werden. Eine Schwester erklärte mir, sie könnten erst nach vierundzwanzig Stunden etwas Genaues sagen. Und so lange musste ich liegen und warten, allein mit meiner Angst und meiner morbiden Phantasie, während mein Blut zögerndmit der Sprache herausrückte, was mit mir passiert war oder nicht.
    Sanitäter schoben ständig neue Patienten herein, und einer nach dem anderen rollten sie an mir vorbei mit ihren epileptischen Anfällen und Darmverschlüssen, ihren Messerwunden und Heroinüberdosen, ihren gebrochenen Armen und blutigen Köpfen. Stimmen schallten, Telefone klingelten, Essenswagen ratterten. Das alles geschah keine Körperlänge von meinen Füßen entfernt, und doch hätte es, was seine Wirkung auf mich betraf, auf einem anderen Planeten geschehen

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