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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Straßenrand entfernt, sodass Lucy von vorbeifahrenden Autos aus kaum zu sehen war. Ja, alle Parkplätze direkt vor dem Haus waren besetzt, weshalb wir unseren Wagen an der Seite abstellen mussten, außer Sichtweite der zwei Panoramafenster in der Fassade des windschiefen eingeschossigen Gebäudes. Und, ja, doppelt erschwerend kam hinzu, dass Tom und ich mit dem Rücken zu diesen Fenstern saßen. Aber wie um alles in der Welt hatte sie den Cola-Automaten vorm Haus (zufällig drei Meter von unseremAuto entfernt) so spontan als Waffe in ihrem Kampf gegen die Burlington-Lösung erkennen können? Wir drei traten gemeinsam ins Haus und suchten als Erstes die Toiletten auf. Dann setzten wir uns an einen Tisch und bestellten Hamburger, Thunfischsalat und überbackene Käsesandwiches. Sobald die Kellnerin mit uns fertig war, zeigte Lucy auf ihren Schoß und deutete damit an, dass sie nochmals zur Toilette musste. Kein Problem, sagte ich, und schon zog sie los, ein typisches amerikanisches Mädchen in Paisleyshorts und neonblauen Turnschuhen für hundertfünfzig Dollar. Während sie weg war, sprachen Tom und ich davon, wie angenehm es sei, einmal aus der Stadt heraus zu sein, sogar in einem so düsteren und schmutzigen Laden wie Dot’s, in Gesellschaft von Truckern und Farmern in gelben und roten Baseballmützen mit den Logos von Unternehmen, die Baumaschinen und Industrieanlagen produzierten. Tom redete immer noch wie ein Wasserfall, und ich hörte ihm so fasziniert zu, dass mir Lucy ganz aus dem Sinn geriet. Zu der Zeit konnten wir nicht ahnen (die Tatsachen kamen erst später heraus), dass unsere Kleine das Restaurant durch die Hintertür verlassen hatte und hektisch Münzen und Dollarscheine in den Cola-Automaten draußen schob. Sie nahm mindestens zwanzig Dosen dieses klebrigen, zuckerhaltigen Gebräus und leerte sie eine nach der anderen in den Benzintank meines einstmals gesunden Oldsmobile Cutlass. Wie konnte sie wissen, dass Zucker für Verbrennungsmotoren ein tödliches Gift war? Wie konnte die Göre nur so verdammt clever sein? Es gelang ihr nicht nur, das jähe und endgültige Ende unserer Fahrt herbeizuführen, sondern dies auch noch in Rekordzeit zu tun. Fünf Minuten, schätze ich, maximal sieben. Auf alle Fälle warteten wir noch auf unser Essen, als sie an den Tisch zurückkam. Jetzt lächelte sie wieder, aber wie hätte ich auf den Grundfür ihre plötzliche Zufriedenheit kommen können? Hätte ich überhaupt darüber nachgedacht, wäre mir als Erklärung vielleicht eingefallen, dass sie gut geschissen hatte.
    Als wir nach dem Essen wieder ins Auto stiegen, gab der Motor ein Geräusch von sich, wie es in der Geschichte des Automobils noch nicht vernommen wurde. Seit zwanzig Minuten denke ich jetzt schon über dieses Geräusch nach, habe aber noch immer nicht die richtigen Worte gefunden, es zu beschreiben, die eine prägnante Formulierung, die ihm gerecht würde.
Heiseres Glucksen? Schluckauf im Pizzikato? Gelächter der Hölle?
Entweder bin ich der Aufgabe nicht gewachsen, oder die Sprache ist ein zu schwaches Instrument, zu erfassen, was da in meine Ohren drang und sich anhörte, als käme es aus dem Rachen einer erstickenden Gans oder eines betrunkenen Schimpansen. Schließlich ging das röchelnde Gegacker in einen einzelnen lang gezogenen Ton über, ein lautes, an eine Tuba erinnerndes Dröhnen, das einem Rülpsen nicht unähnlich war. Nicht direkt das Rülpsen eines zufriedenen Biertrinkers, sondern eher das gedehnte, qualvolle Grollen eines verdorbenen Magens, ein Luftstrom, der im tiefsten Bass aus der Kehle eines mit unheilbarem Sodbrennen geschlagenen Mannes drang. Tom stellte den Motor aus und versuchte es noch einmal, aber nun ließ sich nur noch ein schwaches Stöhnen vernehmen. Beim dritten Versuch tat sich gar nichts mehr. Die Symphonie war ausgeklungen, und mein vergifteter Olds hatte einen Herzstillstand erlitten.
    «Ich glaub, der Tank ist leer», sagte Tom.
    Das war gewiss die einzig vernünftige Schlussfolgerung, doch als ich mich nach links beugte und mir die Tankanzeige ansah, stellte ich fest, dass der Tank noch etwa zu einem Achtel gefüllt war. Ich zeigte mit dem Finger auf die rote Nadel. «Das hier sagt was anderes», sagte ich.
    Tom hob die Schultern. «Die Anzeige muss kaputt sein. Zum Glück ist da drüben eine Tankstelle.»
    Als Tom seine fehlerhafte Diagnose zum Befinden des Autos abgab, drehte ich mich um und sah mir besagte Tankstelle durchs Heckfenster an – ein

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