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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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baufälliger Kasten mit Zapfsäulen davor, und alles sah aus, als sei es seit 1954 nicht mehr gestrichen worden. Dabei geriet ich auch in Blickkontakt mit Lucy. Sie saß direkt hinter Tom, und da ich nicht ahnte, dass sie für diesen Schlamassel verantwortlich war, konnte ich mir die heitere, geradezu übernatürliche Zufriedenheit, die ich in ihrer Miene erblickte, nicht recht erklären. Der Motor hatte soeben sein kakophones Potpourri erklingen lassen, und unter normalen Umständen sollte man annehmen, dass derart groteske Töne sie zu irgendeiner Reaktion veranlasst hätten: Beunruhigung, Belustigung, Aufregung, was auch immer. Aber Lucy hatte sich tief in sich selbst zurückgezogen – schwerelos schwebte sie auf einer Wolke der Gleichgültigkeit, ein reiner Geist, losgelöst von ihrem Körper. Heute weiß ich, sie frohlockte über den Erfolg ihrer Aktion und stattete dem Allmächtigen einen stummen Dank dafür ab, dass er ihr geholfen hatte, ein Wunder zu vollbringen. An jenem Nachmittag mit ihr im Auto war ich jedoch nur verblüfft.
    «Bist du noch bei uns, Lucy?», fragte ich.
    Sie sah mich lange an, teilnahmslos, dann nickte sie.
    «Nicht aufregen», sagte ich. «Wir kriegen den Wagen in null Komma nichts wieder hin.»
    Damit war ich natürlich auf dem Holzweg. Es wäre verlockend, die nun folgende Komödie in allen Einzelheiten zu schildern, aber ich möchte die Geduld des Lesers nicht mit der Erörterung von Dingen strapazieren, die streng genommen nicht zur Sache gehören. Was das Auto betrifft, zählt allein das Resultat. Ich verzichte daher auf den Kanistermit Superbenzin, den Tom von der Tankstelle herüberholte (da das Zeug nichts nützte), und erwähne mit keinem Wort den Abschleppwagen, der den Cutlass schließlich die paar Meter zu ebenjener Tankstelle brachte (uns blieb ja nichts anderes übrig). Die einzige nennenswerte Tatsache ist die, dass die beiden, die dort arbeiteten (ein Vater-Sohn-Gespann, bekannt als Al Senior und Al Junior), nicht herauszufinden vermochten, was mit dem Auto nicht stimmte. Junior und Senior waren ungefähr so alt wie Tom und ich, aber während ich schlank und Tom beleibt war, verhielt es sich bei den Körpern des jungen beziehungsweise des alten Al gerade umgekehrt: Der Sohn war dünn, der Vater fett.
    Nachdem er den Motor minutenlang untersucht und nichts gefunden hatte, schlug Al Junior die Haube zu. «Ich werde das Ding auseinander nehmen müssen», sagte er.
    «So schlimm?», antwortete ich.
    «Das will ich nicht sagen. Aber in Ordnung ist es jedenfalls nicht. Nein, ganz bestimmt nicht.»
    «Wie lange werden Sie für die Reparatur brauchen?»
    «Kommt drauf an. Vielleicht einen Tag, vielleicht eine Woche. Als Erstes muss ich der Sache auf den Grund gehen. Ist es was Einfaches, geht’s schnell. Aber wenn wir beim Händler Ersatzteile bestellen müssen, könnte es sich eine Weile hinziehen.»
    Das schien mir eine faire und ehrliche Einschätzung, und da ich, was Autos betraf, ein absoluter Laie war, fiel mir keine andere Lösung ein, als ihm den Auftrag zu erteilen – egal wie lange es dauern mochte. Tom, auch er kein Kfz-Mechaniker, unterstützte diese Vorgehensweise. Alles schön und gut, schon möglich, aber nun saßen wir erst einmal fest, irgendwo im hintersten Vermont – und was sollten wir tun, bis die beiden Als unser krankes Gefährt wieder flottgemacht hatten? Eine Möglichkeit war, ein Auto zu mieten und nachBurlington weiterzufahren, den Rest der Woche bei Pamela zu verbringen und den Olds auf der Rückfahrt nach New York wieder abzuholen. Oder aber, die einfachste Lösung: Wir nahmen uns Zimmer in einem Gasthof und taten so, als machten wir Ferien, bis das Auto fertig war.
    «Mir reicht’s für heute mit dem Fahren», sagte Tom. «Ich bin dafür, dass wir hier bleiben. Wenigstens bis morgen.»
    Ich war geneigt, ihm zuzustimmen. Und wie wenig Lucy – die wortlose, stets wachsame Lucy – dagegen einzuwenden hatte, kann man sich denken.
    Al Senior empfahl uns zwei Gasthäuser in Newfane, einem zehn Meilen entfernten Dorf, durch das wir auf der Hinfahrt gekommen waren. Ich ging ins Büro, rief dort an und erfuhr, dass in beiden keine Zimmer mehr zu haben waren. Als ich diese Information weitergab, machte der dicke Mann ein finsteres Gesicht. «Touristenpack», sagte er. «Wir haben gerade mal die erste Juniwoche, und schon ist der Sommer auf Hochtouren.»
    Dann standen wir eine halbe Minute lang mit den Händen in den Taschen herum und sahen Vater und

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