Die Brooklyn-Revue
Wir tragen Pullover, als wir auf die Veranda treten und den vom Tau getränkten Rasen betrachten. Nachher werden die Wolken sich auflösen, und dann gibt es wieder einen funkelnden Nachmittag, fürs Erste aber sind die Sträucher und Bäume kaum zu sehen.
Lucy hat ein Buch in ihrem Zimmer gefunden und mit auf die Veranda genommen. Es ist ein schmales Taschenbuch, und da ihre Hand den Titel verdeckt, bitte ich sie, es mir zu zeigen.
Riders of the Purple Sage
von Zane Grey. Ich frage sie, ob es gut ist, und sie nickt energisch. Nicht bloß gut, scheint sie mir zu sagen, sondern ein zeitloses Meisterwerk. Ich finde das eine seltsame Lektüre für ein neunjähriges Mädchen, wüsste aber auch nichts dagegen einzuwenden. Die Kleine liest gern, sage ich mir, und das sehe ich als etwas Positives, als Beweis dafür, dass unsere kleine Ausreißerin nicht auf den Kopf gefallen ist.
Tom setzt sich auf den Stuhl neben mir, während Lucy sich mit ihrem Western in die Hollywoodschaukel legt. Er zündet sich die übliche Zigarette nach dem Frühstück an und sagt: «Was meinst du, ob Al Junior das Auto überhaupt reparieren kann?»
«Ich denke doch», antworte ich. «Aber ich habe es nicht eilig, von hier wegzukommen. Du?»
«Nein, eigentlich nicht. So allmählich gefällt’s mir hier.»
«Erinnerst du dich an unser Essen mit Harry, vorige Woche?»
«Als du dir die Hose mit Rotwein bekleckert hast? Wie könnte ich das vergessen?»
«Ich habe über einiges nachgedacht, was du da gesagt hast.»
«Wenn ich mich recht erinnere, habe ich ziemlich viel gesagt. Ziemlich viel dummes Zeug. Ungeheuer dummes Zeug.»
«Du warst ein bisschen daneben. Aber du hast kein dummes Zeug geredet.»
«Dann musst du zu betrunken gewesen sein, um das zu merken.»
«Betrunken oder nicht, eins muss ich unbedingt wissen.Hast du das ernst gemeint – deinen Wunsch, aus der Stadt wegzuziehen? Oder war das nur Gerede?»
«Es war mein Ernst, aber es war auch nur Gerede.»
«Beides zugleich geht nicht. Eins oder das andere.»
«Es war mein Ernst, aber mir ist doch klar, dass das nie passieren wird. Also war es nur Gerede.»
«Und was, wenn Harry an das große Geld kommt?»
«Das war auch nur Gerede. So gut solltest du Harry inzwischen kennen. Wenn jemand ständig ‹nur Gerede› von sich gibt, dann doch wohl unser alter Freund Harry Brightman.»
«Ich werde dir nicht widersprechen. Aber nur mal so: Stell dir vor, er hätte die Wahrheit gesagt. Stell dir vor, er macht demnächst wirklich das große Geld und wäre bereit, es in ein Haus auf dem Land zu investieren. Was würdest du dann sagen?»
«Ich würde sagen: ‹Okay, tun wir’s.›»
«Gut. Und jetzt denk mal genau nach. Wenn du dir jedes Haus auf der Welt kaufen könntest – wo würdest du dann hinwollen?»
«So weit habe ich noch nicht gedacht. Aber es müsste ziemlich abgelegen sein. Ein Ort, wo wir keine direkten Nachbarn hätten.»
«So etwas wie das Chowder Inn?»
«Ja. Wo du es jetzt sagst: Das hier wäre genau das Richtige.»
«Dann könnten wir Stanley doch fragen, ob er es verkaufen will?»
«Wozu? Wir haben nicht das Geld, es zu kaufen.»
«Du vergisst Harry.»
«Tu ich nicht. Harry hat seine guten Seiten, aber er ist der Letzte, auf den ich mich bei so einer Sache verlassen würde.»
«Ich gebe zu, die Chancen stehen eins zu eine Million, aber nur mal angenommen, Harry kriegt das Kind geschaukelt, dann könnte man doch mit Stanley reden? Nur so aus Spaß. Wenn er sein Interesse bekundet, wissen wir immerhin, wie das Hotel Existenz aussieht.»
«Auch wenn wir niemals hier leben werden.»
«Genau. Auch wenn wir in unserem ganzen Leben nicht mehr hierher zurückkommen werden.»
Wie sich herausstellt, denkt Stanley schon seit Jahren daran, das Anwesen zu verkaufen. Nur Trägheit und Apathie haben ihn davon abgehalten, «den Stier bei den Hörnern zu packen», sagt er, aber wenn der Preis stimmt, schmeißt er sofort alles hin. Er kann es nicht mehr ertragen, mit Pegs Geist zu leben. Auch die brutalen Winter kann er nicht mehr ertragen. Und die Isolation. Vermont steht ihm bis hier, und er träumt nur noch davon, in die Tropen zu ziehen, auf irgendeine Insel in der Karibik, wo es das ganze Jahr über warm ist.
Wozu dann die Mühe, das Chowder Inn wieder in Schwung zu bringen?, frage ich. Nur so, sagt er. Er hat nichts Besseres zu tun, und die Schufterei hilft gegen die Langeweile.
Zeit zum Mittagessen. Wir vier sitzen um den Tisch und essen Aufschnitt, Obst und
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