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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Käse. Der Nebel hat sich gelichtet, die Sonne scheint hell zu den offenen Fenstern herein, und jeder Gegenstand im Speiseraum wirkt deutlicher, lebendiger, farbiger. Während unser Gastgeber uns von seinen Kümmernissen erzählt, bin ich außerordentlich zufrieden damit, da zu sein, wo ich bin, in meiner Haut zu stecken, die Dinge auf dem Tisch zu betrachten, ein- und auszuatmen, die schlichte Tatsache zu genießen, dass ich am Leben bin. Was für ein Jammer, dass das Leben einmalenden wird, denke ich, was für ein Jammer, dass wir nicht ewig weiterleben dürfen.
    Tom erklärt, zurzeit hätten wir nicht das Geld, ihm ein Angebot für das Haus zu machen, aber das könne sich in den nächsten Wochen ändern. Stanley sagt, er habe keine Ahnung, was das Anwesen wert sei, könne sich aber bei einem Makler aus der Gegend danach erkundigen. Je länger wir reden, desto enthusiastischer wird er. Ich weiß nicht, ob er uns auch nur ein einziges Wort glaubt, aber allein die Möglichkeit, sich ein neues Leben auszumalen, hat ihn zu einem ganz anderen Menschen gemacht.
    Warum habe ich diesen Unsinn herbeigeredet? Die ganze Sache hängt davon ab, dass Harry ein gefälschtes Manuskript von
Der scharlachrote Buchstabe
verkauft, und ich habe nicht bloß moralische Einwände gegen seinen verbrecherischen Plan, sondern bin auch überzeugt, dass er scheitern wird. Oder genauer: Selbst wenn die Sache klappt, habe ich keinerlei Interesse daran, nach Vermont zu ziehen. Ich habe erst vor kurzem ein neues Leben begonnen und bin absolut zufrieden mit der Entscheidung, mich in Brooklyn niederzulassen. Nach den endlosen Jahren in den Vorstädten wird mir klar, dass die Großstadt genau das Richtige für mich ist; außerdem habe ich mein Viertel lieb gewonnen, dieses bewegte Durcheinander von Weiß und Braun und Schwarz, diesen vielstimmigen Chor fremder Akzente, die Kinder und die Bäume, die strebsamen Familien der Mittelschicht, die lesbischen Paare, die koreanischen Lebensmittelläden, den bärtigen indischen Heiligen in seinen weißen Gewändern, der sich jedes Mal vor mir verbeugt, wenn wir uns auf der Straße begegnen, die Zwerge und Krüppel, die greisen Pensionäre, die im Zeitlupentempo über die Bürgersteige schleichen, die Kirchturmglocken und die zehntausend Hunde, die Untergrundbevölkerungeinsamer Obdachloser, die ihre Einkaufswagen durch die Straßen schieben und in den Mülltonnen nach Flaschen suchen.
    Wenn ich das alles nicht verlassen will – warum habe ich Tom dann zu dieser sinnlosen Diskussion über Grunderwerb mit Stanley Chowder gedrängt? Um Tom einen Gefallen zu tun, nehme ich an. Um ihm zu zeigen, dass er von mir Unterstützung bei seinem Plan erwarten kann, auch wenn wir beide wissen, dass das Hotel Existenz auf einem Fundament aus «nur Gerede» errichtet ist. Ich spiele mit Tom mit, um ihm zu beweisen, dass ich auf seiner Seite bin, und da Tom diese Geste zu schätzen weiß, spielt er mit mir mit. Das Ganze ist eine wechselseitige Übung in bewusster Selbsttäuschung. Aus dieser Sache wird nie etwas werden, und ebendeshalb können wir gemeinsam weiterträumen, ohne uns um die Konsequenzen zu sorgen. Nachdem wir Stanley jetzt in unser kleines Spiel einbezogen haben, nimmt es beinahe wirkliche Züge an. Nur dass es nicht wirklich ist. Es ist nur heiße Luft, ein Wolkenkuckucksheim, eine Idee, so falsch wie Harrys Hawthorne-Manuskript – das wahrscheinlich nicht einmal existiert. Das alles aber heißt nicht, dass das Spiel keinen Spaß macht. Man müsste schon tot sein, um keine Freude daran zu haben, über derart exotische Dinge zu reden; und gab es dafür einen geeigneteren Ort als diesen stillen Hügel irgendwo im hintersten Winkel von New England?
    Nach dem Essen fordert mich der verjüngte Stanley zu einem Tischtennismatch in der Scheune heraus. Ich sage ihm, ich bin eingerostet, ich habe seit Jahren nicht mehr gespielt, aber so leicht lässt er sich nicht abweisen. Die Bewegung wird mir gut tun, sagt er, «das bringt die Säfte wieder in Schwung», und so erkläre ich mich widerwillig bereit, ein oder zwei Spiele mitzumachen. Lucy begleitet uns in dieScheune, um uns zuzusehen, aber Tom bleibt mit seiner Zigarette auf der Veranda sitzen und liest.
    Ich merke schnell, dass Stanley nicht die Art Tischtennis spielt, die mir geläufig ist. Schläger und Ball sind die gleichen, aber bei ihm ist das kein artiger Zeitvertreib, sondern echter, anstrengender Sport, teuflisches Tennis in Miniaturform. Er steht drei

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